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Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler

Titel: Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler
Autoren: Christiane Stella Harald;Bongertz Glööckler
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orientalische Teppiche in allen Größen mit Endlosmustern aus Blumengirlanden.
    Ich sitze im Schneidersitz und habe die Augen geschlossen, die Hände liegen auf meinen Knien. Ich konzentriere mich, so gut ich kann. Ich spüre die Fasern des Teppichs unter mir. Er kommt aus Persien, hatte mir Mamas Freundin gesagt. Im alten Persien, das hatte ich irgendwo mal gehört, gab es früher ausschließlich fliegende Teppiche. Dieser hier,da bin ich ganz sicher, ist einer davon. Langsam bewegt sich etwas. Ich fühle, wie ich abhebe, nicht viel, vielleicht ein paar Zentimeter, aber die ganz eindeutig. Ich traue mich nicht, die Augen zu öffnen. Als ich es doch mache, um nachzuschauen, wie hoch ich schon bin, sitze ich sofort wieder auf dem Boden – ich muss noch mehr üben. Ich gehe zurück in den Salon. »Mama, ich bin geflogen«, sage ich. Mama lächelt und antwortet: »Ich weiß.«
    Während die Erwachsenen sich unterhielten, konnte ich tun, was ich wollte, Mama und ihre Freundin vertrauten mir. Ich war gut erzogen und hatte auch viel zu viel Respekt vor all den schönen Dingen, um irgendetwas unbedacht kaputt zu machen. Andere Kinder hätten vielleicht auf den langen Fluren Fußball gespielt, ich verrenkte mir stattdessen den Hals, wenn ich die einzelnen Kristalle auf mehreren Etagen der glitzernden wagenradgroßen Kronleuchter zählen wollte, die von den stuckverzierten hohen Decken hingen. Zwischendurch musste ich immer wieder von vorn anfangen, weil das Funkeln meinen Blick verwirrte.
    Im Bad kam das Wasser aus vergoldeten Hähnen, Boden und Wände waren aus weißem italienischem Marmor und alle Spiegel – und Spiegel hingen hier viele – hatten üppig verzierte goldene Rahmen. Auf polierten Tischen standen ausladende Blumenbouquets aus Lilien oder Rosen, auf Chaiselongues lagen dicke Samtkissen. Es gab Miniatur-Statuetten und Schränke, in deren Türen kunstvolle Mosaike eingearbeitet waren.
    Dabei wirkte dieser ganze Luxus nicht protzig, sondern ganz natürlich. Alles geschah hier leise, beiläufig und mit Eleganz. Die Möbel waren Erbstücke, und Silberbesteck war hier so alltäglich wie woanders das aus Edelstahl. In Anitas Familie war es vollkommen normal, so zu leben. Und sie wirkte so ganz anders als die kreischenden neureichen Frauen, die manchmal in unser Gasthaus kamen und mit dicken Pelzmänteln darauf aufmerksam machen wollten, dass sie sich so viel totes Tier leisten konnten. Das hatte Mamas Freundin nicht nötig. Sie musste niemandem etwas beweisen. Das hat mir imponiert.
    Dieses natürliche Selbstbewusstsein brachte sie auch auf Ideen wie die mit dem roten Stöckelschuh auf der Rokoko-Konsole. Ich glaube, schon mir sechsjährigem Knirps schwante damals, dass Kunst genau so funktioniert: die Tradition mit einer neuen eigenen Idee nicht brechen, sondern bereichern.
    Überhaupt, Kunst hat mich bereits damals fasziniert! In der Galerie der Familie hingen jede Menge Originale in Öl, es gab sogar ein paar Gemälde von Otto Dix. Ich konnte stundenlang davorstehen, denn ich wollte mir alle Einzelheiten merken. All das hat in mir etwas zum Schwingen gebracht. Ich glaube aber nicht, dass es etwas in mir geweckt hat, was nicht schon da gewesen war.
    Andere Kinder wollten unbedingt mal nach Disneyland fahren. Das interessierte mich nicht. Edle Dinge, Schönheit und Kunst, das war es, wovon ich träumte. Warum, dachte ich, konnten nicht alle so leben wie Anita? Warum konnten wir nicht so leben? Wenn ich erwachsen war, wollte ich auf jeden Fall so eine Umgebung! Und ich sah doch die Metamorphose meiner Mutter. Wenn wir zu Hause losfuhren, war sie noch ernst und ich konnte die Last auf ihren Schultern spüren. Doch kaum übertraten wir die Türschwelle von Anitas Haus, glätteten sich die sorgenvollen Falten auf ihrer Stirn. Ihr ganzer Körper sprach eine andere Sprache. Ich sah sie lachen, hier war sie ganz sie selbst. So gelöst und fröhlich wie meine Mutter bei ihrer besten Freundin war, so sollte sie immer sein. Anitas Leben war das einer Prinzessin – und nicht nur meine Mutter, alle Frauen sollten so leben können. Und sie sollten dieses Glück nicht nur ab und zu haben. Sondern jeden Tag.
    Ich gehe zurück ins Nebenzimmer, zurück zu meinem fliegenden Teppich. Setze mich, schließe die Augen und beginne mich zu konzentrieren. Plötzlich stoppt die Musik im Nebenzimmer. »… darfst du dir nicht gefallen lassen …«, höre ich Anita sagen, »… er bringt dich sonst noch um.« Die Stimme meiner
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