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Halo

Halo

Titel: Halo
Autoren: Alexandra Adornetto
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waren von Natur aus schlechte Lügner. Ich hoffte, dass sie meine Geschichte nicht durchschaute. Allerdings war streng genommen nichts davon eine wirkliche Lüge.
    «Cool», war alles, was sie sagte. «Ich war noch nie im Ausland, nur ein paarmal in der Hauptstadt. Du solltest dich lieber darauf einstellen, dass sich dein Leben hier in Venus Cove ganz schön ändern wird. Hier ist es normalerweise ziemlich ruhig, mal abgesehen von den paar seltsamen Dingen, die in letzter Zeit passiert sind.»
    «Was meinst du?», fragte ich.
    «Ich habe mein ganzes Leben lang hier gewohnt, schon meine Großeltern lebten hier, sie hatten ein Geschäft. Und in der ganzen Zeit ist nichts wirklich Schlimmes geschehen. Ab und an hat mal eine Fabrik gebrannt, und es gab ein paar Bootsunglücke – aber jetzt …» Molly senkte die Stimme. «Jetzt passieren plötzlich überall Raubüberfälle und seltsame Unfälle, und letztes Jahr gab es eine Grippeepidemie, an der sechs Kinder gestorben sind.»
    «Das ist ja furchtbar», sagte ich leise. Ich bekam einen ersten Vorgeschmack, welche Ausmaße die Zerstörungen der Boten der Finsternis bereits erreicht hatten, und das sah nicht gut aus. «Aber mehr ist nicht geschehen?»
    «Da war noch eine Sache», sagte Molly. «Aber du musst vorsichtig sein, wenn du in der Schule darüber sprichst – manche Schüler sind deswegen immer noch ziemlich fertig.»
    «Keine Sorge, ich halte den Mund», versicherte ich ihr.
    «Vor etwa sechs Monaten ist einer der älteren Schüler, Henry Taylor, auf das Schuldach geklettert, um einen Basketball zu holen, der dort gelandet war. Er ist nicht herumgeturnt oder so, er hat nur versucht, den Ball herunterzuholen. Niemand konnte sagen, wie es passiert ist, aber er ist ausgerutscht und abgestürzt. Er ist mitten auf dem Schulhof aufgeschlagen – seine Freunde haben alles mit angesehen. Man hat das Blut nie wirklich von den Steinen wegbekommen, darum spielt an der Stelle jetzt keiner mehr.»
    Bevor ich antworten konnte, räusperte sich Mr. Velt und blickte direkt in unsere Richtung.
    «Miss Harrison, ich nehme an, Sie erklären unserer neuen Schülerin das Prinzip der Atombindung.»
    «Äh, nicht wirklich, Mr. Velt», antwortete Molly. «Ich möchte sie nicht gleich an ihrem ersten Tag zu Tode langweilen.»
    Ich sah, dass auf Mr. Velts Stirn eine Ader anschwoll, und erkannte, dass es Zeit für mich war einzugreifen. Ich sandte beruhigende Energie in seine Richtung und beobachtete zufrieden, wie seine Aggression nachließ. Seine Schultern schienen sich zu entspannen, und sein Gesicht verlor den Blaustich und bekam wieder eine normale Farbe. Er sah Molly an und lachte großzügig und beinahe väterlich.
    «Ihr Sinn für Humor ist unerreichbar, Miss Harrison.»
    Molly blickte verwirrt, war aber klug genug, sich jedes weiteren Kommentars zu enthalten.
    «Ich habe die Theorie, dass er in der Midlife Crisis ist», flüsterte sie mir stattdessen zu. Mr. Velt ignorierte uns, er war damit beschäftigt, eine Folie aufzulegen. Ich stöhnte innerlich auf und versuchte, die aufkommende Panikwelle zu unterdrücken. Wir Engel leuchteten schon im Tageslicht genug. Im Dunkeln war es schlimmer, doch da konnte man es verbergen. Aber ich konnte nicht sagen, was der Halogenstrahler eines Overheadprojektors ausrichten würde. Ich entschied, kein Risiko einzugehen, bat um Erlaubnis, auf die Toilette zu gehen, und schlich aus dem Klassenzimmer. Draußen hing ich herum und wartete darauf, dass Mr. Velt seinen Vortrag beendete und das Licht wieder anging. Der Projektor ratterte, und durch die Glasscheiben konnte ich sehen, dass darauf eine vereinfachte Darstellung der Atombindung zu sehen war. Ich war froh, dass ich diese grundlegenden Dinge nicht lernen musste.
    «Hast du dich verlaufen?»
    Die Stimme kam von hinten und schreckte mich auf. Ich drehte mich um und sah einen Jungen an den Schließfächern auf der anderen Seite des Ganges lehnen. Auch wenn er mit seinem zugeknöpften Hemd, der ordentlich geknoteten Krawatte und dem Schulblazer jetzt korrekter aussah, waren es ganz unverkennbar sein Gesicht und sein nussbraunes Haar, das über die lebendigen türkisfarbenen Augen fiel. Ich hatte nicht erwartet, ihn noch einmal wiederzusehen, aber jetzt stand der Junge vom Pier direkt vor mir und hatte wieder das gleiche schiefe Lächeln auf den Lippen.
    «Alles in Ordnung, danke», sagte ich und wandte mich schnell wieder ab. Falls er mich wiedererkannt hatte, ließ er es sich jedenfalls
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