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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
Autoren: Walter Kempowski
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ungefähr darstellen. Ein richtiggehender Despot, ein Herrscher, der keinerlei Widerspruch duldet: Wenn ich komm, so wie ich mach.
    Hausfrau, 1915
    Einmal erinnere ich mich noch. Das muß vor der Machtergreifung gewesen sein. In Hamburg in einem großen Saal. Der Saal war ganz voll. Er kam durch den Mittelgang. Alles schrie. Er wartete, bis es mucksmäuschenstill war. Die waren damals alle noch in Zivil. Das muß sehr am Anfang gewesen sein.
    Gottes willen, daß man das alles so vergißt.
    Krankenschwester, 1910
    Ein einziges Mal war ich im Sportpalast, in einer Massenversammlung, und das hat mir imponiert. Hitler selbst hat mich nicht interessiert, nur die Menschen, wie die fasziniert waren. Ich saß oben, aber so was von Begeisterung. Er schrie, so wie man das kennt vom Radio.
    Die Faszination hat sich aber nicht auf mich übertragen. Ich habe immer gesagt: Wie kommt es, daß du so kalt bleibst. Sie waren hysterisch, die Menschen.
    Historiker
    Einmal bin ich mit meinem Chef in den Sportpalast gegangen, der wollte den Hitler mal sehen. Und dann haben wir da auf der Tribüne gesessen und haben das alles gesehen, mit Musike und Reinkommen und so… Es war natürlich eine ziemliche Entfernung… war eine ungeheure Begeisterung, das wurde auch fabelhaft so mit Badenweiler Marsch und solchen Dingen, Einmarsch der Fahnen usw. gemacht, und natürlich haben wir geklatscht, aus Angst, sonst kriegten wir ja eins ans Schienbein oder vor’n Bauch. Und dann sind wir rausgegangen, die ganze Potsdamer Straße bis zum Potsdamer Platz große Polizeikohorten und vorm Sportpalast. Dann sind wir in ein Bierrestaurant gegangen » Der Große Kurfürst«, wo es ausgezeichnete Beefsteaks gab und vorzügliches Berliner Löwenbräu– Münchner Löwenbräu, und mein Chef, der früher Offizier war, der war etwas angekratzt, und ich sagte zu ihm: Der Mann hat auf mich überhaupt keinen Eindruck gemacht, ich finde das grauenhaft, dann höre ich mir lieber eine langweilige Rede von Brüning an– der war ja so furchtbar langweilig… Da waren wir dann verschiedener Meinung.
    Superintendent, 1910
    Es ist ja merkwürdig, was man alles so behält. 1932 sprach er im Sportpalast. Wir waren um 2 Uhr schon da, und er sprach um 8Uhr, kam ja grundsätzlich zu spät, das erhöhte wohl die Spannung. Und als er aufs Pult ging, sagte er energisch: » Fotografen weg!« Und die verschwanden sofort. Man merkte, das ist ein Mann, der gewohnt ist, Befehle zu erteilen, und die Leute parierten denn ja auch.
    Und hinterher, ich hab’ mich gewundert, ich stand direkt an seinem Auto und guckte direkt in sein Fenster, das wurde uns damals nicht verwehrt, und er war doch damals auch schon ein geliebter und gehaßter Mann.
    Beamter, 1912
    Torgeier, den Kommunistenführer, hab’ ich erlebt. Wenn die mit ihren Schalmeienkapellen kamen, das war fast religiös. Und Torgeier konnte es fast genausogut wie Hitler. Der appellierte an so gewisse Grundsituationen und konnte mit wenig Sätzen eine Gesellschaft hochjubeln. » Wollt ihr Arbeit haben?« » Wollt ihr Essen haben?«
    Und dann hab’ ich Goebbels da erlebt, der konnte maßlos auf die Tränendrüsen drücken. Und wenn man nicht mitjubelte, dann schwieg man.
    Und Hitler, da war ich enttäuscht. Wahlkampf 1932. Da war ja die NSDAP auf legalem Weg in den Reichstag gekommen, das wollen wir nicht vergessen. Da hat mich zuerst das Brimborium beeindruckt, wie die SS ihn abschirmte, bald wie bei den alten Römern, wie er da empfangen wurde, Badenweiler und so, das war ja unheimlich. Wie der souverän mit wenigen Sätzen die Bürger einfing. Knüpfte an geschichtliche Tatsachen an. Aber nachher erging er sich in hysterischen Schreiereien, das hat mich dann nicht mehr getroffen.
    Förster, 1916
    Ich hab ’ das von Anfang an erlebt. Und als ich in der Obersekunda war, da habe ich Hitler gesehen. Fast alle Jungen damals waren emotional begeistert, und unter dieser Voraussetzung habe ich auch Hitler gesehen, und ich war jedesmal unwahrscheinlich beeindruckt, wobei ich nicht weiß: Was war Aufbau, was war eigener Eindruck. » Public Relations« würde man heute sagen.
    Vor der Machtübernahme hab’ ich ihn schon gesehen, in seiner demagogischen Art, gegrüßt, so– und wir haben ihm zugejubelt. Da wurde zugejubelt. Alles aufstehen, der Badenweiler wurde gespielt. Vorher wurde gesagt: Wer nicht aufsteht, der wird von der SA … Ich weiß noch genau, in seiner Rede war ein wirkungsvoller Satz drin, es ging um eine
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