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Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt

Titel: Haben Sie Hitler gesehen - Haben Sie davon gewußt
Autoren: Walter Kempowski
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Regierungsbildung, von Papen oder so was. Da rief er, wenn er in diese Regierung eintrete, dann nicht als Wagen, sondern als Lokomotive. Dieser Satz ist immerhin haften geblieben.
    Produktionschef, 1923
    Ich traf Schulfreunde, die mit einer Reichskriegsflagge herumrannten. Sie liefen immer um den Häuserblock herum, da war das Wahllokal drin. Sie schwenkten die Fahne und schrien:
    Rotfront– Rotfront macht uns frei!
    Die Hitlerpartei, die Hitlerpartei!
    Mit einer Stahlhelmflagge. Sie hatten die Wahlkampfparolen durcheinandergekriegt.
    Ich erinnere mich auch noch an Stöße von Papier auf den Bürgersteigen: » LISTE 32«.
    Pressezeichner, 1920
    Mein Onkel hatte eine Mützenfabrik und brachte mir mal einen echten Polizeitschako mit zum Spielen. Da bin ich stolz mit auf die Straße gegangen und wurde sehr beneidet von den Spielkameraden, das war ’ne Seltenheit. Dann kam aber ein Polizist und hat mir den weggenommen, und mein Vater kriegte ’ne Vorladung zur Polizei und mußte eingehend erklären, wo er das herhatte, und Onkel Oskar kriegte auch einen auf den Deckel.– Na ja, das war die Zeit, wo ab und zu Polizisten verschwanden.
    Pastor, 1920
    Für mich war das große Erlebnis die Karl-Marx-Schule, vor 33. Da hatten wir Lehrer, die uns sehr angeregt haben, nicht nur Wissen, sondern auch Probleme, bis hin, daß zwei Schüler auf eine gemeinsame Arbeit angesetzt wurden.
    Das haben die Nazis dann ja schnell kaputtgemacht. Von diesem einen Jahr habe ich immer noch gezehrt. Ich verdanke es diesem einen Jahr, daß ich selbständig arbeiten gelernt habe und wie man an eine Sache rangehen muß.
    Es waren keineswegs alles Rote, wie in der Nazipropaganda behauptet wurde.
    Jede Woche hatten wir eine Gemeinschaftsstunde, wo besprochen wurde, wenn einer abfiel, wie man dem helfen konnte.
    Ingenieur, 1914
    1931.– Ich war in der Zentrumsjugend, und wir haben damals mit den Sozialisten zusammengearbeitet. 1931 sagte mein Chef zu mir– ich war Lehrling: » Du bist doch in der Gewerkschaft, du kannst morgen aufhören.« Da hab ich gesagt: » Dann verklage ich Sie vor dem Arbeitsgericht.« Da hat er zurückgezogen, das wollte er nicht, Arbeitsgericht, das wär’ womöglich noch durch die Zeitungen gegangen. Und dadurch hab’ ich noch ein ganzes Jahr arbeiten können. 1932 war dann endgültig Schluß. Ich bin dann zur Reichswehr gegangen.
    Kunstmaler, 1921
    Ich habe ihm sogar die Hand gegeben, im Jahre 1932. Wir waren ganz dumme Jungs, 8 Jahre. Eigentlich war die Familie national, aber mein Bruder war Kommunist.
    Wir waren auf dem Flugplatz und spielten. Und da landete die Ju, die hatte doch ’ne bestimmte Nummer, 52, nicht wahr? So geriefeltes Blech, 3 Motoren.
    Da war so eine alte Frau: » Der Hitler kimmt! Der Hitler kimmt!« rief sie, und da kletterten wir über den Drahtzaun und rannten auf die Maschine zu und gaben ihm die Hand. Er war in Zivil, trug einen grauen, weißlich-grauen Trench, der ziemlich lang war. Er war umringt von SS -Leuten, die gehörten ja immer dazu. Und dann gab er uns sehr jovial die Hand, es war keine Faszination, es hätte genausogut Ebert gewesen sein können.
    Und dann wurden wir weggescheucht.
    Ein Mann
    1930 im Spätsommer, auf dem Flughafen Skoldik, als er aus einer Maschine kam. Er konnte das Fliegen ja nicht ab, kotzte dauernd, mußte ja aber fliegen, um seine Redetermine einhalten zu können. Er ging, kalkweiß, vom Flughafen zum Auto, hatte seine Hundepeitsche bei sich, den Ledermantel an.
    Buchhändler, 1919
    1930.– Mein Vater hatte ein Bürstengeschäft mit ’n bißchen Seife dabei und nach und nach Parfüm und so was. Und ich weiß noch, wie der dann abends bedrückt nach Hause kam: » Heut’ hab ich den ganzen Tag nur 5 Mark eingenommen.«
    Der hat sich dann aber wieder hochgerappelt, 1933 ging ja alles plötzlich wieder besser.
    Ein Mann
    1932 da war diese berühmt Wahl, die er mit dem Flugzeug absolvierte. In Bremen hab’ ich erlebt, wie er da abflog. Ich hab’ gesehen, wie er in die Ju 52 einstieg. Vorn setzte er sich hin, und da setzte er sich eine Fliegerkappe auf, und da hab’ ich gesagt zu meinem Nachbarn: » Nun sehen Sie mal, was für ein Theater, in der Ju 52 setzt der sich eine Fliegerkappe auf.«– (Nach dem Krieg hat der mir das wiedererzählt, das war ein Nazi.)
    Germanist, 1919
    Ich kann mich erinnern, daß wir als Schüler in den 30er Jahren nicht Sportergebnisse sammelten, sondern Wahlergebnisse. 1932 erinnere ich mich an sämtliche Wahlen,
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