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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition)
Autoren: Ingrid Noll
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Kühlschrank nach Schinken, machte sich schließlich den Rest Hühnerbrühe warm und tat so, als sei rein gar nichts gewesen. Sie war bereits im Bademantel und schickte den fiebrigen Cord in den Keller, Wein holen.
    »Es war stressig heute«, klagte sie. »Zwei Kolleginnen sind krank. Alle scheinen ein bisschen erkältet zu sein und es großkotzig als Grippe auszugeben. Jetzt brauche ich einen guten Tropfen für mein Immunsystem!«
    Gehorsam präsentierte Cord gleich mehrere Weinflaschen zur Auswahl. Judith kippte Glas um Glas hinunter, ich leistete ihr mit einem kleinen Schluck Gesellschaft. Cord hingegen rührte keinen Tropfen an, saß stumm in einer Ecke und beobachtete uns mit angespannter Miene. Hin und wieder ließ er seine Finger knacken.
    Er zuckte richtig zusammen, als Judith uns zum Singen aufforderte. »Ein Schlaflied«, schlug sie vor. »Um unsere unschuldigen Lämmchen in sanfte Träume zu wiegen…«
    Ich schüttelte ärgerlich den Kopf, aber es nützte nichts. Sie trank wieder gierig und in vollen Zügen und begann dann ebenso laut wie falsch zu grölen: »Guten Abend, gute Nacht, hab den Sandmann umgebracht. Hab die Knochen ihm gebrochen und die Augen ausgestochen!«
    »Halt’s Maul!«, knurrte Cord.
    Doch sie schmetterte weiter: »Morgen früh, wenn ich will, kommt der Sandmann auf den Grill!«
    »Sei still, sonst schmeißt dich Cord auf den Grill! Die Kinder schlafen doch schon!«, protestierte ich, aber sie ließ nicht locker und stimmte ein zweites, ebenso geschmackloses Lied an.
    »Negeraufstand ist in Kuba, Schüsse peitschen durch die Nacht…«
    Paul und Lilli schliefen wie immer im Raum neben der Küche, wo in Bernadettes Zeiten gegessen wurde. Cord hatte eine zusätzliche Matratze neben dem großen Bett auf den Perser gelegt. Sie hausten dort zu dritt oder eher zu viert, denn Bella hatte dicke Freundschaft mit den Kindern geschlossen, und ich ahnte, dass sie nachts nicht auf dem Teppich blieb.
    Meistens lagen die Zwillinge gegen neun Uhr im King-size-Bett und schliefen bald ein. Wenn wir im angrenzenden Wohnzimmer den Fernseher laufen ließen oder auch mal in der Küche blieben und uns in Zimmerlautstärke unterhielten, schien es sie nie zu stören. Es ist wohl so, dass Kinder bei vertrautem Stimmenklang eine angenehme Geborgenheit empfinden. Doch der schrille Gesang der beschickerten Judith vermochte selbst Tote aufzuwecken. Es dauerte nicht lange, da standen zwei Hemdenmätzchen vor uns und rieben sich die Augen.
    »Wir haben alles gehört«, sagte Paul stolz. »In den Straßen fließt der Eiter, der Verkehr geht nicht mehr weiter!«
    Judith drohte ihm mit dem Finger und ergänzte: » An den Ecken sieht man Knaben, die sich an dem Eiter laben! Das waren genau solche verlausten Findelkinder wie ihr.«
    »Durst!«, hauchte Lilli kleinlaut.
    »Dann will ich euch ausnahmsweise ein Glas Eiter spendieren. Damit ihr endlich durchschlafen könnt«, sagte Judith und ging zur Anrichte, wo eine Flasche mit Apfelsaft stand. Sie kehrte uns den Rücken zu, aber ich sah, wie sie in die Tasche ihres Morgenrocks langte. Geistesgegenwärtig gab ich Cord ein Zeichen.
    Er begriff sofort, richtete sich auf und nahm eine Position ein, von wo aus er Judith auf die Finger schauen konnte.
    »Geht wieder schlafen«, sagte er zu seinen Kindern. »Ich bringe euch den Saft ans Bett.« Dann nahm er die Gläser in Empfang und verließ mitsamt seinen Kleinen die Küche, ich lief aufgeregt hinterher. Draußen legte Cord den Finger an die Lippen, ging zuerst ins Bad, goss den Saft in den Ausguss und füllte die Becher mit Leitungswasser. Die Kinder waren nicht verwöhnt und auch mit Gänsewein zufrieden.
    Was sollte das bedeuten? Ratlos blickte ich Cord an, aber erst, als die Kinder wieder im Bett und wir im Flur waren, flüsterte er mir zu: »Sie hatte das verfluchte Zeug in ihrer Tasche, oder besser gesagt: das richtige rote Fläschchen mit dem falschem Inhalt. Judith hat beide Becher mit je einem Tropfen angereichert. Obwohl es nur Wasser war, habe ich alles weggekippt, denn vielleicht waren ja noch Spuren darin enthalten!«
    Ich war sprachlos vor Wut auf meine perfide, ehemalige Freundin. Schließlich hatte sie angenommen, dass es sich um die narkotisierenden Tropfen und nicht um Wasser handelte – ihr war wirklich nicht länger über den Weg zu trauen.
    Es war an der Zeit, Judith eine Lektion zu erteilen, die sich gewaschen hatte. Sollte sie doch selber Ruhe geben, statt ihren Frust an den Kindern auszulassen. Ich
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