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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition)
Autoren: Ingrid Noll
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und dann sollte man den Schuppen gründlich putzen. Im Parterre eine Arztpraxis, oben ein schöner Wohnbereich, die Mansarden ein piekfeines Studio. Was meinst du?«
    »Oder drei großzügige Wohnungen«, sagte ich. »Bestimmt muss man viel Geld reinstecken. Hier ist jahrzehntelang nicht mehr renoviert worden. Keine Ahnung, ob solche Häuser unter Denkmalschutz stehen. Doch mir kann egal sein, was damit passiert – für mich ist nur der Verkaufspreis interessant. Je höher der Erlös, desto fetter mein Anteil.«
    Stehen bleiben wollten wir nicht, also zockelten wir weiter, drehten am Ende der Straße um und liefen auf der gegenüberliegenden Seite wieder zurück. Plötzlich war mir, als ob sich die verblichenen Gardinen im oberen Stock leicht bewegten, und ich wäre am liebsten im Asphalt versunken. Etwas hastig liefen wir an unserem Zielobjekt vorbei und setzten uns schließlich wieder in Judiths Wagen.
    »Und was machst du mit der ganzen Kohle?«, fragte Judith mit leuchtenden Augen.
    Ich hatte keine Ahnung und zuckte mit den Schultern.
    »Bis jetzt ist noch gar nicht sicher, ob alles stimmt, was Wolfram mir aufgetischt hat. Vielleicht lebt er länger als erwartet, und sein Testament habe ich auch nicht gesehen. Also sollten wir den Wolf erst mal erlegen, bevor wir ihm das Fell abziehen!«
    Erst später fiel mir auf, dass ich Judith bereits verbal an Wolframs Fell beteiligt hatte. Warum auch nicht eine gemeinsame Weltreise machen oder ein Lesecafé eröffnen? Nach unserem Ausflug hatte ich sie gebeten, im Internet nach Maklerangeboten Ausschau zu halten. Sicherlich ließ sich ein vergleichbares Objekt finden, um den Wert exakter abzuschätzen. Ich selbst besaß keinen Rechner. Ich musste mich in meinen letzten Dienstjahren mit dieser teuflischen Erfindung so herumplagen, dass ich froh war, ihn als Rentnerin los zu sein.
    Als ich wieder allein war, sang ich ununterbrochen: »Wenn ich einmal reich wär, o je widi widi widi widi widi widi bum…« Vergeblich wartete ich auf Judiths Anruf, bis ich schließlich spät am Abend selbst zum Hörer griff.
    »Bist du im Internet fündig geworden?«, fragte ich, immer noch ziemlich aufgekratzt.
    Judith gab ein gedehntes pfff von sich und reagierte etwas unwillig: Sie sei noch nicht dazu gekommen, sie habe Besuch.
    »Wer?«, wollte ich wissen und erkannte im selben Moment, dass meine Frage unerwünscht war.
    »Cord!«, gab sie nur kurz zurück.
    Ihre Männergeschichten hatten mir noch nie behagt. Sicher, sie war eine hübsche junge Frau mit Verstand und Witz, und ich gönnte ihr alle Chancen der Welt, aber ihre zahllosen Affären mit windigen Männern gefielen mir nicht. Solide Bewerber erschienen ihr immer zu langweilig. Manchmal hatte sie offenbar mehrere Fische gleichzeitig an der Angel, dann wieder erschien ein völlig Neuer, um sie abzuholen. Mit einem halbkriminellen Typen namens Cord hatte sie vor Jahren eine etwas längere Beziehung, er war der Einzige, der sogar bei ihr gewohnt hatte. Aber diese Liaison hatte sie meines Wissens schon lange beendet.
    Da mir die Villa keine Ruhe ließ, kramte ich die Zeitungen der vergangenen Woche aus dem Papierkorb und überflog die Immobilienanzeigen. Immerhin wurde ein Haus in der Hübschstraße – ganz in Wolframs Nähe – für sechshunderttausend Euro angeboten. Doch ohne Anhaltspunkte wie Grundstückgröße, Ausstattung und Gesamtzustand half mir das auch nicht weiter. Die Gegend wurde als Toplage angepriesen, aber natürlich stellten die Makler alles in ein günstiges Licht.
    Mir fiel eine Fernsehsendung ein, in der man bis zu einer Million Euro gewinnen konnte. Der Moderator pflegte seine Kandidaten zu fragen, was sie mit dem erhofften Geld anfangen wollten. Da gab es einige, die sehr konkrete Wünsche hatten, einen Konzertflügel zum Beispiel oder eine Reise nach Australien. Andere gaben vor, den Großteil spenden oder verschenken zu wollen, oder mussten dringend ihr Bafög oder andere Schulden zurückzahlen. Nie hätte ich mich für dieses öffentliche Quiz beworben, obwohl ich viele Fragen mit Leichtigkeit beantworten könnte: Literatur, deutsches Liedgut, Märchen, klassische Musik, Geographie und Geschichte sind meine Spezialgebiete, aber ich würde mich unsterblich blamieren, wenn es um Hitlisten, Physik, die neuesten Filme, Popmusik, Promiklatsch und Königshochzeiten ginge. Deswegen habe ich mir bisher auch keine Gedanken gemacht, was ich mit einem unverhofften Geldsegen anfangen könnte. Lotto spiele ich nicht.
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