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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Mehr noch, sie waren organisiert wie professionelle Verbrecher. Ihre politischen Argumente hatten die Form von Brechstangen, Ketten und Messern. Solange sie nicht gleich zur Pistole griffen. Damals reichte es schon, mit der falschen Zeitung, dem falschen Buch oder auch nur der falschen Kleidung die Via Sparano in der Nähe der San-Ferdinando-Kirche entlangzugehen – eine Gegend, die damals als schwarze Zone galt -, um brutal verprügelt zu werden.
    Einmal passierte es auch mir.
    Ich war vierzehn Jahre alt und trug immer einen grünen Parka, auf den ich sehr stolz war. Eines Nachmittags ging ich mit zwei Freunden, die wie ich fast noch Kinder waren, im Stadtzentrum spazieren, als wir plötzlich umringt wurden. Von Jungs, die sechzehn oder siebzehn waren, aber aussahen wie Männer. In diesem Alter machen zwei Jahre einen Riesenunterschied.
    Unter ihnen befand sich ein blonder Typ, groß, schlank, mit einem David-Bowie-Gesicht. Er trug eine schwarze Rayban-Sonnenbrille, obwohl es bereits dunkel war. Seine Lippen waren nur ein Strich, und die Art, wie er lächelte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
    Ein kleiner, vierschrötiger Kerl mit gebrochenem Schneidezahn trat auf mich zu und nannte mich einen roten Bastard. Ich solle sofort diesen Scheißparka ausziehen, oder sie würden mir das Rizinusöl verabreichen, das ich verdient hatte.
    Obwohl ich vor Angst wie gelähmt war, fragte ich mich noch, was er wohl mit diesem Satz meinte. Ich hatte bis dahin noch nie etwas von Rizinusöl, faschistischen Säuberungsaktionen und Ähnlichem gehört.
    Mein Freund Roberto machte sich in die Hose. Nicht nur im übertragenen Sinne. Ich sah den feuchten Fleck, der sich auf seiner verwaschenen Jeans ausbreitete, während ich mit bebender Stimme fragte, warum ich ihn denn ausziehen solle, meinen Parka. Der Typ versetzte mir einen Schlag zwischen Wange und Ohr. Mit aller Kraft.
    »Zieh ihn aus, Scheißgenosse.«
    Ich hatte entsetzliche Angst und war den Tränen nahe, aber meinen Parka zog ich nicht aus. Krampfhaft bemüht, nicht zu weinen, fragte ich noch einmal, warum. Und der Typ versetzte mir noch eine Backpfeife, dann einen Faustschlag und dann Fußtritte und noch mehr Faustschläge und Ohrfeigen, mitten unter Leuten, die vorübergingen und wegsahen.
    Irgendwann – ich kauerte auf dem Boden und versuchte mich vor den Schlägen zu schützen – brachte jemand sie dazu, wegzulaufen.
    Was danach passierte, ist mir besonders klar und deutlich in Erinnerung geblieben.
    Ein Mann, dem Akzent nach aus Bari, hilft mir beim Aufstehen und fragt mich, ob er mich ins Krankenhaus bringen solle. Ich sage nein, ich wolle nach Hause. Den Hausschlüssel hätte ich dabei, sage ich noch, als würde ihn das interessieren oder mache in dieser Situation irgendeinen Sinn.
    Dann trolle ich mich, und meine Freunde sind nicht mehr da. Ich weiß auch nicht, wann sie verschwunden sind. Unterwegs weine ich. Weniger vor Schmerz wegen der eingesteckten Prügel als vor Demütigung und Angst. Kaum etwas bleibt so gut in der Erinnerung haften wie Demütigung und Angst.
    Verdammte Faschisten.
    Und während ich noch weine und schniefe, sage ich mir laut, dass ich meinen Parka jedenfalls nicht ausgezogen habe. Dieser Gedanke richtet mich auf und lässt meine Tränen versiegen. Meinen Parka habe ich nicht ausgezogen, ihr Scheißfaschisten. Und ich erinnere mich genau an eure Gesichter.
    Eines Tages zahle ich es euch heim.
     
    Als Paolicelli das Anwaltszimmer betrat, fiel mir das alles wieder ein, alles auf einmal. Mit der Heftigkeit einer Sturmböe, die Fenster aufreißt, Türen zuknallt, Papiere durcheinanderwirbelt.
    Er streckte mir die Hand hin. Ich zögerte einen Moment, bevor ich sie ergriff, und fragte mich, ob er es gemerkt habe. Erinnerungen stiegen in mir auf: verschwommene Gegenstände, Geräusche, Jungen- und Mädchenstimmen, Gerüche, Angstschreie, die Lieder der Inti Illimani, das Gesicht eines namenlosen Mitschülers, der mit siebzehn auf dem Schülerklo an einer Überdosis Heroin starb. Verzauberten Wesen gleich, die, jäh vom Bann erlöst, aus den Kellern und Dachstuben des Gedächtnisses dringen, in denen sie gefangen waren, stürmten diese Erinnerungen auf mich ein.
    Er hingegen erinnerte sich mit Sicherheit nicht an mich.
    Um nicht allzu brüsk zu erscheinen, ließ ich ein paar Sekunden verstreichen, bevor ich ihn fragte, warum er mich beauftragen wolle und warum er einsaß.
    »Die Polizei hat mich vor eineinhalb Jahren wegen internationalen
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