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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Margheritas Abreise hatte ich ein paar Veränderungen vorgenommen. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber sie hatten mir gutgetan. Dazu gehörte, dass ich mir ein schönes, altmodisches Fahrrad kaufte, schwarz und ohne Gangschaltung, die mir in Bari sowieso nichts genützt hätte. Zu meiner Freude war ich innerhalb kürzester Zeit ganz ohne Auto ausgekommen. Zuerst radelte ich nur bis zum Gericht, später auch zum Gefängnis, das etwas weiter entfernt liegt, und zuletzt verzichtete ich sogar abends, wenn ich ausging, auf meinen Wagen. Ich ging sowieso immer alleine aus, egal wohin.
    Ein bisschen riskant ist es schon, in Bari Fahrrad zu fahren: Radwege gibt es nicht, und für die Autofahrer sind Radler in erster Linie ein Ärgernis; aber man kommt grundsätzlich schneller an sein Ziel als mit dem Wagen. Und so stand ich schon eine Viertelstunde später ziemlich durchgefroren vor der Gefängnispforte.
    Der Wachbeamte, der an diesem Nachmittag Dienst hatte, war neu und kannte mich nicht. Deshalb nahm er seine Aufgabe sehr genau. Er kontrollierte meine Ausweispapiere, überprüfte meine Zulassung, nahm mir das Handy ab. Am Ende ließ er mich ein, und dann musste ich die übliche, lange Flucht von Stahltüren durchqueren, die sich bei meinem Durchgang öffneten und schlossen, bis ich den für die Mandatenbesprechungen vorgesehenen Raum erreichte. Der, auch das nichts Neues, so einladend war wie der Wartesaal eines Leichenschauhauses in der Provinz.
    Sie ließen sich Zeit. Mein neuer Mandant erschien erst nach einer guten Viertelstunde, als ich bereits erwog, den Tisch und ein paar Stühle anzuzünden, der Kälte wegen und um auf mich aufmerksam zu machen.
    Ich erkannte ihn sofort. Dabei war es über fünfundzwanzig Jahre her, dass ich ihn zuletzt gesehen hatte.
    Das war Fabio Paolicelli alias Fabio Raybàn, mit Betonung auf der zweiten Silbe, wie in Bari üblich. Den Spitznamen hatten wir ihm aufgrund der Sonnenbrille gegeben, die er ständig trug, sogar nachts. Jetzt war mir auch klar, weshalb ich mich nicht an ihn erinnert hatte. Für mich, für uns alle war er immer nur Fabio Raybàn gewesen.
    Die siebziger Jahre. Eine lange, fahle Tagesschau in Schwarz-Weiß, die in meiner Erinnerung mit Bildern der verwüsteten Piazza Fontana in Mailand beginnt, wie sie unmittelbar nach dem Bombenattentat aussah. Obwohl ich damals erst sieben Jahre alt war, erinnere ich mich noch sehr genau an alles: an die Fotos in den Zeitungen, an die Fernsehberichte, sogar daran, was meine Eltern untereinander oder mit Freunden, die zu Besuch kamen, sprachen.
    Eines Nachmittags, ich glaube, es war am Tag nach dem Attentat, fragte ich meinen Großvater Guido, warum sie diese Bombe gelegt hätten, ob in Italien Krieg herrsche und wenn ja, gegen welches Land. Er sah mich an und sagte nichts. Es war das einzige Mal, dass er keine Antwort auf meine Fragen fand.
    Ich erinnere mich noch an fast alle wichtigen Ereignisse jener Jahre, und meine Erinnerungen sind mit den Nachrichtensendungen verbunden, in denen zunehmend junge Gesichter auftauchten, Gesichter wie die unseren.
    Ich selbst machte, wenn auch sporadisch und eher halbherzig, bei Aktionen der außerparlamentarischen Linken mit.
    Fabio Raybàn hingegen war ein faschistischer Schläger.
    Und möglicherweise mehr als ein simpler Schläger. Über ihn, und über andere wie ihn, wurde damals viel gemunkelt. Es war die Rede von bewaffneten Raubüberfällen, die als Mutprobe galten. Von paramilitärischen Trainingslagern in den abgelegensten Winkeln der Murgia, bei denen undurchsichtige Gestalten aus den Rängen der Armee und der Geheimdienste ihre Finger mit im Spiel hatten. Von so genannten Arierfesten in luxuriösen Vorstadtvillen. Vor allem aber hieß es, Raybàn habe dem Schlägertrupp angehört, der einen achtzehnjährigen, an Kinderlähmung erkrankten Kommunisten durch Messerstiche getötet hatte.
    Am Ende eines langwierigen Prozesses war einer dieser Faschisten wegen Mordes verurteilt worden. Dass er sich daraufhin im Gefängnis umbrachte, kam vielen sehr gelegen, denn damit war es unmöglich geworden, die Mittäter zu identifizieren.
    In den Tagen unmittelbar nach dem Mord war Bari erfüllt vom Rauch der Tränengasbomben, vom beißenden Gestank brennender Autos, vom Geräusch hastiger Schritte auf menschenleeren Straßen. Metallkugeln sprengten Schaufenster, Sirenen und Blaulichter sprengten die graue Nachmittagsstille der letzten Novembertage.
    Die Faschisten waren professionell organisiert.
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