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Grün. Le vert de la Provence

Grün. Le vert de la Provence

Titel: Grün. Le vert de la Provence
Autoren: Tom Burger
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wahrnehmen. Die Polizei hatte um diese späte
Stunde längst ihre Posten an Brücken und Parkplätzen der Autobahn La
Provençale verlassen, von denen aus sie tagsüber die Raser abfing. Sie
beschleunigte den BMW, den sie jetzt anstelle des kleineren Peugeot auch in der
Provence nutzte, und fuhr nun deutlich über der erlaubten Geschwindigkeit. Erst
hundertfünfzig Stundenkilometer, dann hundertsechzig. Wenigstens die Distanz
zwischen Marseille und Avignon könnte sie so schneller überbrücken. Ab
Carpentras wäre sie in der Geschwindigkeit dann ohnehin durch die
unübersichtlichen schmalen Landstraßen eingeschränkt.
    Sie fluchte über Seefelder. Seine Entscheidung, den Sitz
der Stiftung in eines der Bürogebäude von SBT nach Marseille zu verlegen, zwang
sie wöchentlich mehrmals zu dieser aufwändigen Fahrerei. In Marseille waren
zudem die Strukturen von Seefelders Konzern auch in der Stiftung zum Tragen
gekommen. Auf dem Papier war sie zwar die Geschäftsführerin, de facto leiteten
aber Seefelders Manager die Stiftung. Junge Karrieristen auf dem Weg in die
dritte Führungsebene, die für diese Leute einen deutlichen Einkommenssprung,
eine Sekretärin und einen größeren Firmenwagen bedeutete. Es waren völlig
empathiefreie Erfolgsjunkies, die sich einen gnadenlosen Wettkampf lieferten,
bei dem alles, was nicht ihren Zielen diente, im Weg war und ausgeräumt wurde.
Es war eine Generation von Männern, die ihr Grauen einflößte – ich-zentriert,
kalt wie gefrorenes Fischfilet und ausschließlich an der Droge Macht
interessiert. Die Frauen in dieser Hierarchiestufe waren kein Deut angenehmer.
Sie alle definierten sich über die Spur der Verwüstung, die sie hinter sich
ließen, über ihre Boni und ihre berufliche Omnipräsenz. Sie schliefen nie,
worauf sie stolz waren, und konsumierten Sex wie Hamburger und Tiefkühlpizza.
    In diesem Umfeld war sie zur Staffage geworden, ohne
Handlungsspielräume, ohne Entscheidungsgewalt. Seefelder hatte die Stiftung zu
einem Marketinginstrument von SBT umfunktioniert und sich aus dem operativen
Geschehen rasch zurückgezogen. Ebenso wie von ihr. Er war unerreichbar
geworden.
    Die Stiftung nährte für die Öffentlichkeit eine Illusion.
Sie machte glauben, dass die an SBT übertragenen Rechte zur Nutzung von
Paulines Pflanzenwissen großzügig abgegolten wurden; dass sowohl Pauline als
auch die Allgemeinheit an der Forschung des Unternehmens partizipierte.
Natürlich würde die Stiftung in sorgsam dosiertem Umfang Erkenntnisse über
pharmakologische Möglichkeiten isolierter Substanzen und über einzelne
Gensequenzen der erschlossenen Bioressourcen veröffentlichen. Dies würde aber
nur in einem unbedeutenden Umfang geschehen, dafür trugen die alerten
Jungmanager Sorge. Wirtschaftlich bedeutsame Entdeckungen blieben dem Konzern
vorbehalten. Einzelne Patentanträge waren bereits unmittelbar nach Gründung der
Stiftung eingereicht worden. Valerie schien es, dass dabei für den Fall der
Stiftungsgründung vorgearbeitet worden war. Weitere, umfassende Patente wurden
derzeit in hoher Dichte geltend gemacht, deren Nutznießer allein SBT sein
würde. Patente, die sich auf das technische Verfahren bezogen, mit der die
genetischen Ressourcen isoliert worden waren, genauso wie auf eine umfassende
Beschreibung ihrer Funktionen, die oft weit über das Maß des Notwendigen
hinausgingen. Es war aber auch unmissverständlich ein Ziel der theatralischen
Stiftungsinszenierung, vorsorglich Patente auf DNA-Sequenzen zu beantragen,
deren Funktionen kaum bekannt waren. Dies würde es Mitbewerbern zwanzig Jahre
lang unmöglich machen, um die bestehenden Genpatente herum eigene Forschungen
durchzuführen und die Bioressourcen anderweitig nutzbar zu machen.
    Seefelders Management plante aber noch langfristiger, als
es internationale Patentrechte eigentlich zuließen. Sie verfolgten von Anfang
an die Strategie, wo immer es möglich sein würde, ein Copyright zu beantragen,
das ihnen, anders als ein Patent, ein ausschließliches Nutzungsrecht für
hundert Jahre sichern würde. Zudem planten sie auch die Möglichkeit ein, den
ursprünglichen Patentschutz deutlich zu verlängern. Evergreening nannten
sie diese Prozedur, die den Gemeinnutz unterlief und eine Palette sorgsam
aufeinander abgestimmter Maßnahmen umfasste, die langfristige
Lizenzvereinbarungen oder Folgepatente auf Verfahrenselemente beinhalteten. Ein
perfides Spiel, von dem sie ungewollt Mitwisserin geworden war und das sie
zunehmend
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