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Großstadt-Dschungel

Großstadt-Dschungel

Titel: Großstadt-Dschungel
Autoren: Sarah Mlynowski
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verlassen wie der letzte Keks in der Packung.
    Ich stürze ihn runter, als es an der Tür klingelt. „Ich hab was Geiles zum Anziehen gefunden“, höre ich Nats Stimme durch die Gegensprechanlage. „Komm runter!“
    Seht ihr? Hätte ich die beiden Kurzen nicht getrunken, hätte ich sie später wegkippen müssen.

3. KAPITEL
    O rgasmieren
    „Hallo Süße! Gehn wir zu Fuß?“ Natalie hakt sich bei mir ein.
    „Na klar. Es sind doch bloß ein paar Minuten von hier.“
    „Welche Richtung?“
    Manchmal spinnt sie. Es ist nun nicht so, dass ich ein wandelnder Kompass wäre, aber ich komme am Tag mindestens zweimal an der Bar vorbei. Genau wie Natalie. Zugestanden, in Boston findet man sich nicht unbedingt auf Anhieb gut zurecht; die Straßen hier haben die unerklärliche Eigenschaft, ihre Namen häufig zu wechseln, von Court zu State Avenue, von Winter- zu Sommerweg, um dann ganz zu verschwinden. Nun bin ich keine Fremde, die sich verläuft und in Panik verfällt (ich werde den Weg nach Hause nie finden, ich werde in ein schlimmes Viertel geraten, ich werde beklaut und umgebracht, und die ersten vier Wochen merkt das niemand, bis man meine aufgedunsene Leiche hinter dem Steuer meines zehn Jahre alten Toyota im Fluss findet, warum, in Gottes Namen, habe ich kein Handy wie jeder vernünftige Mensch?), aber Back Bay ist schon eine unüberschaubare Gegend.
    „Heute kann ich mir drei Drinks erlauben“, sagt Nat.
    Nicht dass sie sich über ihren Alkoholkonsum sorgte. Vielmehr ist sie eine, wie sie selbst zugibt, obsessive Kalorienzählerin. Ohne ihren gelben Spiralblock mit Trauben auf dem Umschlag, ihren lilafarbenen Filzstift und den Textmarker geht sie nirgendwohin. Sie schreibt alles auf, was sie isst, und trägt sogar ihre „Schnäpselchen“ ein (ihr Wort, nicht meins).
    „Wusstest du“, fährt sie fort, „dass ein Wodka zweiundsechzig Kalorien hat?“
    Nein, das wusste ich nicht. Und es ist mir auch egal. Zumindest diese Woche. Hundertvierundzwanzig Kalorien habe ich schon intus. Sechs Millionen weitere würden folgen.
    Dabei wirkt Natalie heute keineswegs dicker. Sie wirkt genau so, wie sie immer wirkt: sehr, sehr dünn und sehr, sehr groß. Gut, vielleicht nicht sehr,
sehr
groß, aber doch groß im Vergleich zu mir (jeder ist groß im Vergleich zu mir, ich bin nämlich nur einsachtundfünfzig. Vermutlich ist Natalie auch nicht größer als einssiebzig, aber neben mir neige ich dazu, sie für das weibliche Gegenstück zu Michael Jordan zu halten).
    Obwohl sie eigentlich mehr wie Buffy die Vampirjägerin aussieht, nur dass Nat braune Haare hat. Sie würde es selbst nie zugeben, aber laut Sam hat sich Natalie einen Besuch bei Dr. Harvey Gold gegönnt, die erste Adresse unter Bostons Nasenspezialisten. Es war angeblich ein Geschenk ihrer Eltern zum High-School-Abschluss und zum Geburtstag zusammen. Das erste Mal, als ich bei ihr in Beacon Hill war, studierte ich jedes Foto auf der Suche nach einem Vorher-Bild. Auf den fünfunddreißig Bildern, die im gesamten Haus verteilt hingen, war sie auf keinem unter achtzehn. Verdächtig?
    Und sie kleidete sich sogar wie Buffy (in gewisser Weise). Ihr enges schwarzes Dolce & Gabbana-Top sowie die roten Hosen müssen mehr gekostet haben, als ich im Monat verdiene. Glücklicherweise ist sie ein Typ, der sich so ein Outfit leisten kann – finanziell und ästhetisch. Ich für meinen Teil tendiere eher zum Kaschieren als zum Unterstreichen.
    Nat assistiert in verschiedenen psychiatrischen Kliniken. Eines Tages will sie ihr Diplom in Psychologie machen. Eines Tages werden geistig verwirrte Menschen sie um Hilfe bitten. Erschreckend. Schon der entfernte Gedanke daran, dass sie irgendwann in einem dieser Beratungsprogramme hängt, macht mich irre.
    Wie versprochen sind wir acht Minuten später da, um zwanzig vollkommen aufgedrehte Leute vor uns in der Schlange zu haben, die sich unter der metallenen Silhouette eines orgasmisch nach hinten geworfenen Frauenkopfes drängeln.
    Natalie geht zur Tür. „George!“ ruft sie dem einschüchternden Hünen zu, ein glatzköpfiger Türsteher, der mich mit seiner Rundherum-Sonnenbrille an den Terminator erinnert.
    „Hey, sexy“, sagt er. Küsschen, Küsschen. Küsschen, Küsschen.
    „George, ich möchte, dass du Jackie kennen lernst. Sie ist eine meiner besten Freundinnen.“
    „Hallo“, hauche ich sanft, und drin sind wir in der Bar.
    „Was macht der Himmel?“ fragt Natalie und hebt den Kopf. Das ist ihr Code für „Habe ich einen
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