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Grischa: Goldene Flammen

Grischa: Goldene Flammen

Titel: Grischa: Goldene Flammen
Autoren: Leigh Bardugo
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aber du würdest es vorziehen, zu verschwinden, um den Haushalt für deinen erbärmlichen Fährtenleser zu führen.«
    Ich wusste, dass es besser gewesen wäre, den Mund zu halten oder diplomatisch zu sein, aber ich konnte nicht anders. »Ihr habt mir nichts geschenkt. Ihr habt mich versklavt.«
    Â»Das hatte ich nie im Sinn, Alina.« Er strich sich über das Kinn. Er wirkte frustriert, müde, menschlich. Aber was davon war echt, was gespielt? »Ich durfte kein Risiko eingehen«, sagte er. »Denn es ging um die Macht des Hirsches, und Rawkas Zukunft steht auf dem Spiel.«
    Â»Tut nicht so, als würdet Ihr aus Sorge um Rawka handeln. Ihr habt mich belogen. Seit unserer allerersten Begegnung habt Ihr mich nur angelogen.«
    Er schloss die langen Finger um das Glas. »Und du? Hast du mein Vertrauen verdient?« Er klang auf einmal weniger kalt und gelassen. »Baghra flüstert dir etwas ein und schon ergreifst du die Flucht. Hast du auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, was es für mich, ja für ganz Rawka bedeutet hätte, wenn du für immer verschwunden wärst?«
    Â»Ihr habt mir kaum eine Wahl gelassen.«
    Â»Unsinn. Du hattest eine Wahl. Und hast dich dafür entschieden, dein Land und alles, was du bist, im Stich zu lassen.«
    Â»Ihr seid ungerecht.«
    Â»Gerechtigkeit!«, rief er lachend. »Du redest von Gerechtigkeit? Die gibt es nicht. Die Menschen verfluchen mich und beten für dich, obwohl du sie im Stich lassen wolltest. Obwohl ich es bin, der ihnen Macht über ihre Feinde geben wird. Obwohl ich es bin, der sie von der Tyrannei ihres Zaren befreien wird.«
    Â»Und danach werdet Ihr Eure eigene Tyrannei errichten.«
    Â»Einer muss die Führung übernehmen, Alina. Einer muss Krieg und Unterdrückung beenden. Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg, das kannst du mir glauben.«
    Er sprach so ernsthaft und vernünftig. Er klang nicht wie jemand, der von unersättlichem Ehrgeiz getrieben wurde, sondern wie ein Mann, der fest davon überzeugt war, das Richtige für sein Volk zu tun. Obwohl ich wusste, was er getan hatte und was er vorhatte, hätte ich ihm fast geglaubt. Fast.
    Ich schüttelte kurz den Kopf.
    Er sank auf dem Stuhl zurück. »Na schön«, sagte er mit müdem Schulterzucken. »Dann bin ich eben der Bösewicht.« Er stellte das leere Glas ab und erhob sich. »Komm her.«
    Obwohl ich Angst hatte, zwang ich mich, aufzustehen und zu ihm zu gehen. Er betrachtete mich im Feuerschein. Er fuhr mit seinen langen Fingern über die riefigen Enden des Geweihs, ließ seine Hand an meinem Hals hinaufgleiten und dann auf meiner Wange ruhen. Ich verspürte eine heftige Abneigung, aber ich nahm auch seine verführerische Macht wahr. Es ärgerte mich maßlos, dass er immer noch diese Wirkung auf mich hatte.
    Â»Du hast mich verraten«, sagte er leise.
    Ich hätte am liebsten gelacht. Ich hatte ihn verraten? Er hatte mich benutzt und verführt und jetzt auch noch versklavt, und ich sollte die Verräterin sein? Doch beim Gedanken an Maljen schluckte ich Wut und Stolz hinunter. »Ja«, sagte ich. »Und das bereue ich.«
    Er lachte. »Du bereust gar nichts. Du denkst nur an diesen Fährtenleser und sein klägliches Dasein.«
    Ich schwieg.
    Â»Sag mir eines«, flüsterte er und grub seine Fingerspitzen so tief in mein Gesicht, dass es wehtat. Im Feuerschein wirkte sein Blick unergründlich, ja ausdruckslos. »Wie sehr liebst du ihn? Warum bettelst du nicht um sein Leben?«
    Â»Bitte«, hauchte ich und kämpfte gegen die Tränen an. »Bitte verschont ihn.«
    Â»Warum sollte ich das tun?«
    Â»Weil Euch der Reif nicht geben kann, wonach es Euch wirklich verlangt«, antwortete ich kühn. Das war der zweite Trumpf, den ich besaß, doch ich wusste, dass er nicht viel wert war. »Ich habe keine andere Wahl, als Euch zu dienen, aber ich würde Euch nie verzeihen, falls Maljen etwas zustößt. Dann würde ich mit aller Macht gegen Euch kämpfen. Ich würde unermüdlich nach einer Möglichkeit suchen, meinem Leben ein Ende zu setzen, und irgendwann würde mir das gelingen. Aber wenn Ihr Gnade zeigt und ihn am Leben lasst, werde ich Euch freudig dienen. Dann werde ich mein Leben lang in Eurer Schuld stehen.« An dem Wort »Schuld« wäre ich fast erstickt.
    Er legte den Kopf schief und lächelte skeptisch.
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