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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman
Autoren: Christoph Marzi
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in knatschbunten Leggins und grünem Jeanskleid.
    »Wirklich?«
    Vesper nahm den kleinen Mantel des Mädchens von der Mini-Garderobe und half ihr hinein.
    Frau Wark stand mit verschränkten Armen da und ließ keine der beiden aus den Augen.
    »Diese dummen Läuse«, jammerte die Kleine, als sie in den Mantel schlüpfte.
    »Die Läuse sind gar nicht dumm«, erklärte Vesper ihr. »Weißt du, Greta, die Läuse leben eigentlich auf den Köpfen der Erzieherinnen. Sie wuseln in deren Haar herum, springen, spielen, singen. Aber weißt du was? Es ist eigentlich total ungemütlich da drinnen.«
    Greta überlegte kurz und stellte fest: »Es riecht so komisch.«
    Vesper grinste breit. »Ja, nach Katzenklo und Zigaretten und Haarspray und billigem Parfüm.«
    Die Kleine nickte, grinste.
    Frau Wark sah immer wütender aus.
    »Die meisten Erzieherinnen riechen nach Katzenklo und Zigaretten, das war früher, als ich klein war, auch schon so. Genau deshalb wollen die Läuse auch zu den Kindern.«
    »Die Kinder riechen gut.«
    Vesper nickte. »Na ja, du riechst gut. Die meisten Kinder tun das.«
    »Julian nicht.«
    »Okay«, gab Vesper zu, »Julian nicht.«

    »Julian stinkt.«
    Kann sein, dachte Vesper und zog der Kleinen eine blaue Mütze an. »Läuse sind kluge Tiere. Sie mögen Kinderköpfe. Und sie halten die Luft an, wenn sie in den Haaren der Erzieherinnen sitzen. Aber sie müssen auf den Köpfen sitzen, weil sie sonst nicht an die Kinder herankommen.«
    »Genau.«
    »Und sie halten die Luft an, weil sie so stinken?«
    Vesper tippte der Kleinen auf die Nasenspitze. »Genau, weil die stinken. Und weil sie die Luft nicht ewig anhalten können, klettern sie irgendwann auf die Köpfe der Kinder.«
    Greta überlegte. »Dann ist es gar nicht schlimm, wenn ich Läuse habe?«
    »Nein.«
    »Aber die anderen Kinder schauen mich doof an, wenn ich ins Zimmer muss.«
    Vesper seufzte. »Ist doch egal, was die anderen Kinder denken. Die sind nur neidisch, weil du schon nach Hause darfst. Und weil ich dich abhole.«
    »Du bist cool«, sagte Greta.
    Vesper musste lachen. »Danke, das finden die wenigsten.«
    Frau Wark befand mit gestrengem Blick: »Sie sollten jetzt gehen. Ich muss mich heute auch um die Kinder in Gruppe vier kümmern.« Mit einem beleidigten Gesichtsausdruck fügte sie hinzu: »Außerdem muss ich die Sitzbezüge und alle Matratzen im Ruheraum abziehen.«

    »Viel Spaß dabei«, wünschte ihr Vesper.
    »Und sagen Sie Frau Veidt, dass sie ihre Tochter auch selbst abholen kann, wenn sie wieder mal Läuse hat.«
    Vesper trat auf die Leiterin zu, kam ihr ganz nahe. »Wissen Sie was?«, fragte sie und sagte dann im Flüsterton, ganz, ganz verschwörerisch: »Ich bin die Einzige, die mit den Läusen reden kann. Deshalb komme immer ich.« Sie zwinkerte Greta zu, spürte den kleinen Händedruck. »Komm schon, Kleines, wir machen die Fliege.«
    So verließen sie den Kindergarten - und keiner von ihnen schaute zurück. Sie gingen über die Straße zur nächsten Bushaltestelle und alberten dabei herum, machten Faxen und wichen den Pfützen aus. Greta erzählte von dem, was sie gemacht hatte, und Vespers Gedanken schweiften ab zu den Dingen, die sich tief in ihr verbargen.
    Die dicken Wolken tauchten die graue Stadt schon früh in eine ungemütliche Abenddämmerung.
    Die Autofahrer hupten aggressiv, und jedermann sah mürrisch aus.
    »Vesper?«, fragte Greta.
    »Ja?«
    »Der Mann da hinten war eben auch schon da.«
    Vesper erstarrte. Schnell schaute sie sich um. Eine hochgewachsene dunkle Gestalt verschwand in den tiefen Schatten zwischen zwei Häusern. Sie glaubte, einen Mantel und sogar funkelnde Knöpfe erkannt zu haben.
    »Bist du dir sicher?«
    Die Kleine nickte. »Er sah gruselig aus.«

    Es schauderte ihr.
    Mit einem Mal dachte sie wieder an die seltsame Begegnung drüben bei den Landungsbrücken. War es doch möglich, dass der Kerl hinter ihr her war? Nein, sie wollte das nicht glauben. Wer sollte das sein? Und aus welchem Grund sollte er ihr folgen?
    »Wo hast du ihn denn schon gesehen?«
    »Vor dem Kindergarten. Als wir rausgekommen sind, da hat er unter einem Baum gestanden.«
    »Wirklich?«
    Sie nickte. »Ein Tier hat auf seiner Schulter gesessen.«
    Wie am Hafen.
    Affe, Waschbär, Iltis, Frettchen, was auch immer - es war unscharf gewesen, wie etwas, was man nur aus dem Augenwinkel wahrnimmt.
    Vesper starrte angestrengt in das Dämmerlicht.
    Nichts!
    »Wie hat er ausgesehen?«
    Die Kleine überlegte, dann sagte sie: »Wie
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