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Grenzfall (German Edition)

Grenzfall (German Edition)

Titel: Grenzfall (German Edition)
Autoren: Merle Kröger
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abtreten. Dafür bekam er eine Prämie von fünfzig Mark aufwärts pro Abschuss, den die Gäste unter seiner Führung machten. Je nach erlegtem Wild und Gewicht. Und Prämien musste er mit der Frührente nicht verrechnen. Da kam ganz schön was zusammen.
    Er wusste nicht, was die Jagdgäste aus dem Westen für so ein Wochenende in Vorpommern bezahlten, wollte es auch gar nicht wissen. Sollten doch die Kapitalisten sich gegenseitig das Fell über die Ohren ziehen, um mal im Jargon zu bleiben. Bisher hatte er den Chef noch nie enttäuscht. Und das hatte er auch heute nicht vor, Wedemeiers Worte im Ohr, als wäre es gestern gewesen: »Da stehen hundert andere Jagdpächter Schlange, um diesen Job zu bekommen. Nur damit das klar ist.«
    Er schloss die Tür sorgfältig ab, auch wenn der Iltis in Sichtweite stand. Im Außenspiegel sah er eine Gruppe Frauen mit langen Röcken vorbeilaufen. Fetzen einer fremden Sprache drangen an sein Ohr. Er konnte es nicht lassen, drehte sich um, ein weißer Rock wehte gerade noch durch sein Blickfeld. Als er zum Laden ging, sah er, dass im Fenster neben den Immobilienangeboten ein Reisigbesen lehnte, als hätte ihn jemand aus Versehen verkehrt herum da stehen lassen. Ja, die wussten sich zu helfen, die Kollwitzer. Da merkten die Zigeuner gleich, wo sie nicht erwünscht waren, wie in alten Zeiten.
    Bevor er hineinging, blieb er kurz stehen. Drinnen saßen sie und pafften Zigarren, die Kapitalisten. Wedemeier wie immer im Dreiteiler, der andere ein großer, schlanker Mann mit – wie sagte man: silbernen Schläfen. Er trug Polohemd und Jeans, billig waren die sicher nicht. Ob der auf dem Hochsitz die Nerven behielt, das würde sich noch herausstellen. Da wehte ein anderer Wind als auf dem Tennisplatz. Uwe setzte sein grimmiges Dorfbullengesicht auf und öffnete die Tür.

27. Juni 1992, Hansestadt Kollwitz
    Hajo hatte sich bei der Autovermietung am Flughafen Tegel einen Mercedes SLK gegönnt, als Mitarbeiter der Airline auch dies natürlich zu Sonderkonditionen. Der Berliner Ring war noch akzeptabel, doch auf der Autobahn Richtung Norden wünschte er sich, er hätte einen Jeep gebucht. Der Sportwagen lag tief auf der Straße, und die zusammengeflickten Platten, die sich hier Autobahn schimpften, hämmerten regelrechte Furchen in seinen Allerwertesten. Über drei Stunden hatte er nach Kollwitz gebraucht, ohne den Motor einmal richtig ausfahren zu können. Wenigstens stellte ihm der Jochen einen Platz in seiner Privatgarage zur Verfügung, so musste er das Prachtstück nicht übers Wochenende auf dem Präsentierteller stehen lassen.
    Nach seiner Ankunft sah er sich die Altstadt an, man war ja in zehn Minuten herum. Kollwitz war ein hübsches Hansestädtchen, da ließe sich was draus machen. Nur, wer sollte das bezahlen? Der Solidaritätszuschlag würde ins Unermessliche steigen. Kaufkraft gab’s hier gleich null, jeder zweite Laden leer. Und Investoren? Da brauchte man schon Jochen Wedemeiers Pioniergeist. Der konnte einem Gelb für Grün verkaufen und glaubte noch selber dran.
    »’ne Zigarre, Hajo? Direktimport aus Kuba. Geht aufs Haus, versteht sich.«
    »Na, da sag ich nicht nein, Jochen.« Hajo betrachtete die kubanische Schönheit von allen Seiten.
    Das nagelneue Funktelefon klingelte, und Jochen stürzte sich enthusiastisch ins nächste Verkaufsgespräch, während Hajo genüsslich den kommunistischen Stumpen paffte.
    Er erinnerte sich noch gut, wie der Jochen ihm sein eigenes Haus angeboten hatte, schön gelegen im Hochtaunus mit idealer Verkehrsanbindung, so dass er mit dem Wagen in rund vierzig Minuten am Flughafen war. Bungalow in Hanglage mit Schwimmbad und Sauna, erstklassige Ausstattung. Nachbarn in seiner Einkommensklasse, das Baugebiet gerade groß genug, dass seiner Desirée nicht langweilig wurde. Der Immobilienmakler selbst lebte in echtem Fachwerk im Ortskern, reich geheiratet, wurde gemunkelt. Da ergab es sich quasi von selbst, dass man sich im Jagdverein wiedertraf. Und bald darauf zum Du wechselte.
    Und jetzt saß der Jochen also hier oben, frisch geschieden, sah zwanzig Jahre jünger aus, das machte bestimmt der Pioniergeist. Baute sich peu à peu ein altes Herrenhaus aus, von dem nur noch die Außenmauern standen. Das Frankfurter Geschäft leitete der älteste Sohn. Hajo schielte auf die langen braunen Beine der jungen Frau, die den Kaffee serviert hatte und nun hinter einem Computer hockte. Die sagte bestimmt auch nicht nein, wenn einer wie Wedemeier im Wilden Osten
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