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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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gespenstisch hohl an. Sie wirft den Kopf zurück, so dass ihre Wunde am Hals aufreißt, ein dünner Blutfaden über ihre Schulter fließt und unter ihrem schmutzigen und zerrissenen gelben Kleid verschwindet. Ihre Zähne zwischen den gebleckten Lippen scheinen wie die Kiefer einer hungrigen Bestie. Sie sagt irgendetwas. Doch ihre Stimme ist nicht mehr als das heisere Knurren eines Tieres. Ihre finsteren Augen fixieren Barry und zum ersten Mal in meinem Leben kann ich blanke Gier im Blick eines Menschen erkennen.
    Das ist kein kleines Mädchen mehr, denke ich und versuche mir gleichzeitig vorzustellen, was aus Cindy geworden ist. Hat sie sich in der Zwischenzeit ebenfalls in eine geifernde Bestie verwandelt, die in ihrem Gefängnis tobt und sich unablässig gegen die Wände wirft?
    Ich stelle mir vor, wie ihr schauerliches Geheul durch das dunkle Haus gellt, während sich unten im Wohnzimmer Fliegen und Maden an den Überresten ihres Mannes gütlich tun. Dieses Mädchen ist wie Cindy. Sie ist wie Alicia. Und Alicia hat Menschen getötet. Sie hat sie zerfetzt und ausgeweidet und ihre Gedärme gefressen.
    Alicia hat Shelley getötet. Und dieses Mädchen würde uns töten. Dessen bin ich mir plötzlich sicher. Für sie gibt es keine Rettung mehr. Die Saat der Shoggothen fließt durch ihre Adern und verwandelt die Natur eines jungen Mädchens in die Instinkte einer Bestie.
    Sie stößt keifende Laute aus, die mich an das Zischen einer Schlange erinnern. Blutiger Speichel spritzt von ihren Lippen.
    Im nächsten Augenblick wird das Schweigen unserer toten Welt von ohrenbetäubendem Lärm zerfetzt, als Barry den Abzug betätigt.
    In der Schulter des Mädchens erblüht ein zerfetztes, rot schimmerndes Loch. Sie wird herumgewirbelt und stürzt wie eine fallengelassene Puppe auf den harten Asphalt. Doch sofort versucht sie wieder aufzustehen. Ihre Bewegungen wirken ungelenk, der nutzlose Arm hängt wie ein dünnes Stück Stoff an der Seite herab. Blut quillt unablässig aus der verheerten Schulter.
    Als das Mädchen wieder auf zitternden Beinen steht und wankend auf Barry zugeht, verwandelt sich ihr zerschundenes und schmutziges Gesicht in eine unmenschliche Maske aus Gier und Hass. Das Fauchen einer wilden Katze dringt zwischen blutbesudelten Lippen hervor.
    »Schieß!«, höre ich eine panische Stimme gellen.
    »Schieß!«
    Der Kopf des Kindes ruckt in meine Richtung. Erst jetzt bemerke ich, dass ich es bin, der unablässig auf Barry einschreit.
    Ich stolpere einige Schritte zurück, bis mich der leere Einkaufswagen zum Straucheln bringt und ich mich auf dem kalten Stein des Parkplatzes wiederfinde.
    Ein zweiter Schuss zerreißt die Luft und lässt die Welt um mich herum vibrieren. Plötzlich kann ich nur noch das Rauschen meines Blutes und das dröhnende Hämmern meines Herzens hören. Mit schreckgeweiteten Augen beobachte ich, wie der Körper des Mädchens in Zeitlupe durch die Luft gewirbelt wird. Ihr Kopf ist verschwunden. Stattdessen klafft ein sprudelnder Krater aus Fleisch, Haut und Gewebe dort, wo sich noch vor wenigen Sekunden ihr Hals befunden hat.
    Knochenfragmente und Fleischfetzen werden gegen die Seite des Pick-ups geschleudert. Das Mädchen dreht sich wie eine Balletttänzerin einmal um die eigene Achse. Ich frage mich unwillkürlich, ob sie zu Lebzeiten vielleicht sogar Ballett getanzt hat. Über den Gedanken muss ich lachen, denn alle Mädchen ihres Alters scheinen Ballett zu mögen, denke ich. Selbst Demi schaut sich den anmutigen Tanz gerne im Fernsehen an, auch wenn sie es nicht selbst tanzt.
    Das Kind hat seine Pirouette beendet und klatscht hilflos auf den Asphalt. Die dürren Arme schlagen noch einmal um sich, als versuche sie nach Barry zu greifen. Ihr Kleid ist nach oben gerutscht und ihre zerschundenen, mit Fäkalien beschmutzten Beine zucken ein letztes Mal.
    Dann liegt das Mädchen still und die Welt um mich herum wird zu einem schrillen Kreischen, das mit meinem Blut und dem Stakkato meines Herzens einen perfekten Rhythmus eingeht.
    II
    Die Fahrt zurück verläuft schweigend. Ohne uns weiter um den Leichnam des Mädchens zu kümmern, sind wir in den Wagen gesprungen und mit quietschenden Reifen von `Tenberries´ Parkplatz gefahren. Irgendwo hinter uns konnte ich die schrille Explosion einer Glasscheibe durch das Crescendo in meinem Kopf hören, dicht gefolgt vom infernalischen Brüllen einer Kreatur, die wir zum Glück nicht zu Gesicht bekamen.
    Nur Gott weiß, was wir durch den Lärm der Schüsse
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