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Graues Land (German Edition)

Graues Land (German Edition)

Titel: Graues Land (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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zielstrebig auf die Einkaufswagen zu, die im Zwielicht matt glänzen. Er legt sein Gewehr so hinein, dass der Kolben herausragt und jederzeit griffbereit ist. Ich tue es ihm gleich und fühle mich, als ich das Gewicht meiner Waffe nicht mehr in Händen spüre, plötzlich wehrlos und nackt. Mit beiden Händen halte ich mich am kalten Griff des Wagens fest, um meine aufsteigende Panik zu unterdrücken.
    »Ruf nach mir, wenn du etwas Ungewöhnliches siehst«, flüstert Barry. »Egal, was. Jede Kleinigkeit kann sich als Gefahr erweisen.«
    Ich nicke, wobei sich unwillkürlich die Welt um mich herum zu drehen beginnt. Den Gedanken, wie oft ich hier mit Sarah zum Einkaufen gewesen war, lasse ich nicht zu.
    Barry verschwindet zwischen zwei Regalen. Im nächsten Moment kann ich hören, wie er eine ganze Anzahl Dosen in den Einkaufswagen wirft. Das Scheppern des Metalls klingt wie die Detonation von Bomben.
    Ich schiebe meinen Wagen zu einem Regal, von dem ich weiß, dass ich dort Teigwaren finden kann. Feiner Staub hat sich über die Tüten gelegt. In der Dunkelheit wirken sie, als würden sich hinter den Sichtfenstern Maden winden. Ohne weiter darüber nachzudenken, fülle ich den halben Wagen mit Nudeln. Dann steuere ich zu den Getränken und greife mir mehrere Flaschen mit Sprudel und Limonade. Unbewusst greife ich nach Sarahs Lieblingsmarke. Etwas, das ich immer getan habe, wenn ich in den letzten zwei Jahren alleine zum Einkaufen hier gewesen bin.
    Am Regal mit den Spirituosen halte ich inne. Ich habe nur selten Alkohol getrunken und entsinne mich meiner Abneigung, als ich Barry mit der Whiskeyflasche gesehen habe. Doch ohne zu zögern greife ich nach einigen der Flaschen, ohne zu wissen, was ich da überhaupt in den Wagen lade. Die Zeiten haben sich eben geändert. Vielleicht sind diese Flaschen eine der wenigen Möglichkeiten, die Zukunft zu akzeptieren.
    Von weiter entfernt kann ich Barry hören, der seine Sachen unwirsch in den Wagen lädt und nicht selten mit seinem Gefährt irgendwo dagegen fährt. Einmal kann ich das helle Klirren von Glas und Barrys Fluchen hören. Instinktiv greife ich nach der Waffe. Doch schon im nächsten Moment höre ich, wie mein Sohn das nächste Regal ausräumt.
    Im grauen Licht, das schwerfällig durch die Oberlichter sickert, kann ich die Schatten der Elektroabteilung erkennen. Ich lasse den Wagen stehen, stelle ihn sogar an den Rand, damit niemand darüber stolpert, und gehe dann kopfschüttelnd zur Auslage mit den Abspielgeräten. Ich weiß nicht genau, nach was ich suchen muss. Doch kleine Schilder an den Regalreihen führen mich schnell zu DVD-Recordern und tragbaren Abspielgeräten für DVDs. Als ich ein Gerät erblicke, das fast genauso aussieht wie jenes, mit dem Humphrey uns vor einigen Tagen besucht hat, spüre ich, wie mein altes, hämmerndes Herz einen jubelnden Hüpfer macht. Ich greife danach, suche nach einem Kabel, und erinnere mich daran, dass mein Gerät zu Hause über einen Akku betrieben wurde. Außerdem – was nützt mir ein Kabel in dieser neuen Zeit?
    Behutsam lege ich das Gerät auf den Stapel aus Tüten, Kartons und Flaschen in meinem Wagen. Dann rufe ich nach Barry, wobei ich zwei Anläufe brauche, bis meine Stimme Worte formen kann.
    »Wenn du fertig bist, geh zum Eingang und warte dort auf mich«, antwortet Barry einige Reihen neben mir. Seine Stimme klingt seltsam gehaltlos in dem großen Raum, in dem sonst das Summen der Kühltruhen, leise Musik und das Gemurmel von Menschen zu hören gewesen war.
    Am meisten fehlt mir die Musik, glaube ich. Obwohl sie nie die Musik gespielt haben, die ich gerne höre.
    »Ich plündere gerade noch die Drogerie. Dann komme ich.«
    Barry stößt ein heiseres Lachen aus. Während ich ihn das Regal durchwühlen höre, wobei er weitaus weniger zimperlich mit den Sachen umgeht wie ich, schiebe ich meinen Wagen in Richtung Ausgang. Als ich an der Kasse vorbeigehe, erwarte ich fast, dort Helen sitzen zu sehen; jene Frau, die von ihrem Mann verlassen worden war, sich aber dennoch immer ein Lächeln abringen konnte, wenn sie mich erblickte. Ich hatte Helen sehr gemocht, und sie hat mir leid getan, da der Mistkerl sie mit ihren drei Kindern hatte sitzen lassen.
    Nun, Helen war nicht hier, und sie würde wohl auch in naher Zukunft nicht mehr auf ihrem zerschlissenen Hocker hinter der Kasse sitzen. Und ihr Mann, ich glaube, sie erwähnte einmal, das er Chris hieß, hat mit Sicherheit bereits die gerechte Strafe für sein Verhalten
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