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Grappa und die Toten vom See

Grappa und die Toten vom See

Titel: Grappa und die Toten vom See
Autoren: G Wollenhaupt
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die neue Einkaufsgalerie begeben und auf einen Anruf warten. Dann erhalte ich weitere Anweisungen. Wissen Sie, wo dieses Shoppingcenter ist?«
    »Klar. Der neue Konsumtempel auf dem Brauereigelände. Dort ist es immer rappelvoll und es gibt mehrere Ausgänge. Aber es ist so gebaut, dass man jemanden gut beobachten kann. Sie werden kaum die Möglichkeit haben, uns auf dem Laufenden zu halten. Der Typ wird Sie vermutlich nicht aus dem Auge lassen.«
    Bruno Zitroni und eine Misswahl
    Die Einkaufsgalerie hatten private Investoren einrichten lassen. Die alte Brauerei war in jahrelanger Arbeit entkernt und wieder hergerichtet worden. So war eine hohe Kathedrale entstanden, von deren oberer Etage man den Blick auf die Rolltreppen bis ins Erdgeschoss hatte – es war also ein perfekter Ort für die Übergabe. Der derzeitige Besitzer der Dokumente würde Motte im Blick haben, sobald der das Center betrat. Die Shops bildeten ein buntes Gemisch aus Kleider-Boutiquen, Schuhläden, Gastroangeboten und angesagten Spezialgeschäften. Obwohl in Bierstadt der Anteil der Hartz-IVer fast achtzehn Prozent betrug, war die Galerie fast immer rappelvoll. Heute fiel besonders die Männerdichte ins Auge. Der Grund war auf einem Plakat zu lesen: Um fünfzehn Uhr sollte die Wahl zur Miss Gallery stattfinden. Vor dem Laden des Labels Bruno Zitroni überprüfte eine Band ihre Beschallungsanlage. Junge Männer rangelten sich um die besten Plätze.
    Motte wollte die Galerie pünktlich um fünfzehn Uhr betreten. Er hatte angekündigt, durch den Haupteingang zu kommen. Die Unterlagen, die er zu finden hoffte, wollte er in einer grellroten Plastiktüte verstauen, die er mitführen würde.
    Wayne und ich hatten noch eine Viertelstunde Zeit, um eine für uns günstige Position zu finden.
    Im Erdgeschoss knubbelten sich die Kiddies. Sie standen Schlange vor einem Laden, der wie ein chinesischer Tempel gestaltet war und in dem es Markenklamotten zu kaufen gab. Vor dem Eingang führten muskulöse Wachhunde Gesichtskontrollen durch.
    Jede Zeit hat ihre Geißeln, dachte ich. Gut, dass es in diesem Fall nur markenbekloppte Kids waren, die sich von cleveren Kapitalisten ausbeuten ließen. Das war wenigstens nicht tödlich – zumindest nicht sofort.
    »Wir gehen eine Etage höher«, schlug ich vor. »Von dort haben wir eine gute Übersicht. In drei Minuten müsste Motte eintreffen. Außerdem ist hier unten gleich die Hölle los wegen der Misswahl.«
    Wir waren kaum oben, als Motte die Galerie betrat. Er spazierte langsam an den Schaufenstern entlang, blieb einige Male stehen und musterte die Auslagen. Der rote Plastikbeutel war gut zu sehen. Wayne knipste.
    Die Band spielte das erste Stück, Scheinwerfer erhellten die Szenerie, ein Moderator kündigte zwanzig junge Damen an, die es ins Finale der Misswahl geschafft hatten. Und schon waren die Mädels da – unter Applaus, Pfiffen und Gejohle präsentierten sie ihre unzureichend bekleideten Körper.
    Kurzzeitig war der Blick auf Motte versperrt. Als ich ihn wieder im Auge hatte, telefonierte er.
    »Es geht los«, stellte Wayne fest.
    Motte steckte das Handy zurück in seine Manteltasche und änderte die Richtung.
    »Er geht zu den Aufzügen«, rief Wayne. »Was machen wir jetzt?«
    »Wir teilen uns auf. Du fährst nach oben und ich lauf ins Erdgeschoss. Die Aufzüge sind aus Glas, vielleicht siehst du ja was.«
    »Okidok.« Der Bluthund machte sich davon.
    Ich nahm die Rolltreppe nach unten und beobachtete den Lift, in den Motte gestiegen war. Im Inneren waren mehrere Personen zu erkennen. In der dritten Etage stoppte der Aufzug, einige Kunden stiegen aus – Motte blieb in der Kabine.
    Zwei Mädels rempelten mich an und ich musste aufpassen, auf der Rolltreppe nicht zu stürzen. Als ich wieder nach oben blickte, bewegte sich der Aufzug schon wieder nach unten. Motte war irgendwo ausgestiegen und ich hatte keine Ahnung, wo.
    Die Musik war schrecklich und laut. Die Möchtegernmissen tanzten im Discomove.
    Mein Handy klingelte. Ich konnte Wayne kaum verstehen.
    »Motte verloren!«, schrie er.
    »Mist!«, brüllte ich zurück.
    »Wo ist er ausgestiegen?«, fragte ich, als Wayne wieder neben mir stand.
    »Ich konnte es nicht sehen«, erklärte er. »Ich habe alles abgesucht – auch das Treppenhaus mit den Notausgängen. Motte ist wie vom Erdboden verschluckt.«
    »Und was machen wir jetzt?«
    »Lass uns zum Bahnhof fahren. Wenn alles gut gegangen ist, ist das Schließfach leer. – Uns fehlt der Rest der Story«,
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