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Grappa Und Die Seelenfaenger

Titel: Grappa Und Die Seelenfaenger
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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des Fahrzeugs merken?«, fragte der Polizist.
    Ich verneinte. »Es war einfach zu weit weg und ich hatte meine Lesebrille auf der Nase. Außerdem ging alles blitzschnell.«
    Zwei Beamte waren ins Verlagshaus gekommen, einer saß mir gegenüber, der andere machte draußen auf der Straße Fotos und versuchte, weitere Zeugen für die Entführung zu finden.
    »Können Sie den Entführer beschreiben?«
    Ich tat mein Bestes, aber wiedererkannt hätte ich den Mann nicht.
    »Beschreiben Sie die Person, die in den Wagen gezerrt wurde!«
    Auch die Frau hatte ich nicht so deutlich gesehen, dass ich sie hätte identifizieren können.
    »Ich weiß nur, dass sie jünger ist als ich und ziemlich schlank. Die Haare waren unter einer Regenkapuze verborgen. Aber die beiden Männer von der Sekte müssen doch wissen, wer sie ist.«
    »Die Herren haben es vorgezogen, nicht auf uns zu warten«, entgegnete der Polizist. »Aber die Kollegen befinden sich bereits im Hauptquartier der Kirche und führen Vernehmungen durch.«
     
    Fast hätte ich Jansen gefragt, wie viele Zeilen ich haben konnte für diese Geschichte. Eine Entführung direkt vor meinen Augen.
    Die Polizeipressestelle hatte für den Nachmittag eine Mail mit Fakten angekündigt. Mir blieb Zeit genug, mich über die Kirche der Erleuchteten zu informieren.
    Ihr Zeichen war ein achtendiges Kreuz, dessen Zacken die acht Dynamiken symbolisieren sollten. Was waren die acht Dynamiken?
    Ich überflog die Texte, die ich im Netz entdeckte, und fand das Ganze ziemlich kompliziert. Ich las:
     
    Die erste Dynamik ist der Überlebenswille, die zweite Dynamik entspricht der Ebene der Familie und der sexuellen Fortpflanzung. Auf der dritten und vierten Ebene geht es um soziale Gruppen und die Menschheit als Ganzes, auf der fünften um alle Formen des Lebens und auf der sechsten um das physikalische Universum. Die siebte Dynamik ist der Geist oder die Spiritualität, die achte die Unendlichkeit, Alleinheit oder Gott.
     
    Krauses Zeug. Die Erleuchteten waren in der Gesellschaft ziemlich umstritten. Zumindest in Europa. In den USA hatte die Sekte mehr Erfolg, einige berühmte Hollywood-Schauspieler waren Mitglieder.
    Wie auch immer. Vor meinen Augen war eine Frau gegen ihren Willen in ein Auto gezerrt und entführt worden.
     
    Am frühen Nachmittag kam die Mail aus dem Polizeipräsidium. Die entführte Frau hieß Monika W. und war gar nicht entführt worden. So hatte sie selbst ausgesagt.
    Die angeblich Geschädigte gab an, dass sie von ihrem Vater Arnold W. ins Auto »verbracht«worden war.
     
    Vorausgegangen sei ein häuslicher Streit um die Zugehörigkeit der Monika W. zu einer Gemeinschaft, die sich selbst als Kirche der Erleuchteten bezeichnet. Monika W. wird gegen ihren Vater keine Anzeige erstatten. Die Ermittlungen wurden eingestellt.
     
    Na toll, dachte ich, das war’s dann mit der Geschichte: Ein besorgter Vater entführt seine Tochter, weil er nicht mit dem einverstanden ist, was sie glaubt.
    Schade, eine echte Entführung wäre eine gute Gelegenheit gewesen, den neuen Chefredakteur von der Bedeutung der Blaulicht-Geschichten zu überzeugen.
    Wenig später erhielt ich erneut eine Mail – dieses Mal vom neuen Chef. Er bestellte mich für den nächsten Tag zu einem Mitarbeitergespräch.
    Ich rief Harras an.
    »Ich muss da auch hin«, erklärte er. »Genau wie alle anderen. Ist doch gut, dann wissen wir wenigstens, welcher Wind hier künftig weht.«
    »Lau wird er sein, der Wind«, prophezeite ich.
     
    Jansens Abschied. Er hatte die Kantine des Verlagshauses ausgesucht, ihn zu begehen. Das Essen war deftig und westfälisch: Mettbrötchen, Möpkenbrot, Pfefferpotthast, Rührei mit Schinken und Zwiebelschmalz.
    Ich stand mit Pöppelbaum und Harras an der Biertheke, als Jansen zu uns trat. Wir wussten nicht, was wir sagen sollten.
    »Guck nicht so bedröppelt, Grappa-Baby«, lächelte er. »Es wird schon nicht so schlimm werden. Das Leben besteht aus Veränderungen.«
    »Solche will ich aber nicht!«, murrte ich.
    »Was soll ich denn sagen? Ich übernehme eine Stadt, die finanziell völlig marode ist, mit Politikern, die bisher nur durch ihre Intrigen und ihre Machtgier aufgefallen sind«, entgegnete der designierte Oberbürgermeister Bierstadts. »Und ich übernehme einen Verwaltungsapparat, der dermaßen unbeweglich und faul ist, dass man das große Heulen bekommen kann. Und in diesen Laden soll ich Ordnung bringen!«
    »Grappa ist geschockt, weil der Schnack was von Familienzeitung
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