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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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worden war. Die Regierung reagierte mit einer Haus-zu-Haus-Impfkampagne. Der Virus wurde als derselbe identifiziert, der zuvor in Sudan und Saudi-Arabien zu Fällen von Poliomyelitis geführt hatte. Im April 2005 schließlich erreichte die Poliowelle Indonesien – der erste Fall war ein kleines Mädchen im Westen der Insel Java. Auch hier konnte der Ursprung des Virus im Sudan nachgewiesen werden; eine Notfall-Impfkampagne half, die Zahl der Erkrankungen auf 55 zu begrenzen.
    Von den sechs »Rückzugsgebieten« der Polioviren waren Indien, Pakistan und Nigeria von der weitaus größten Zahl der Krankheitsfälle betroffen, und zwar jeweils in bestimmten Regionen. Die Gesundheitsminister der betreffenden Länder verpflichteten sich mit ihrer Unterschrift unter den Strategieplan, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Am erfolgreichsten erwies er sich in den drei asiatischen Problemländern Indien, Pakistan und Afghanistan sowie in Ägypten, wo die Übertragungsraten auf ein Allzeittief sanken. Diejenigen Regionen Afghanistans, in denen die Taliban weiterhin tonangebend sind, und bestimmte Gebiete Pakistans, wo die Regierung nur begrenzt handlungsfähig ist, stellen weiterhin schwierige Gegenden für die Bekämpfung der Kinderlähmung dar. Nicht einfacher macht es die Tatsache, dass Pakistan und Afghanistan als Nachbarländer mit grenzüberschreitendem Verkehr immer wieder Viren voneinander importieren.
    Aber auch die Wegmarke 2008 konnte nicht eingehalten werden, weiterhin gibt es Länder, die für Polioerkrankungen als endemisch gelten. Trotzdem wurden seither in den Endemieländern Indien und Nigeria beachtliche Erfolge erzielt: Von 2009 bis 2010 sank die Zahl der Neuerkrankungen an Poliomyelitis in Nigeria von 382 auf 8, in Indien von 431 auf 39. Das verbleibende Problemland ist nunmehr Pakistan, wo zwischen 2009 und 2010 die Zahl der Neuerkrankungen sogar anstieg und insgesamt mehr Fälle registriert wurden als in den drei anderen Endemieländern zusammengenommen. Daneben aber konnte Polio in Gebieten wieder an Boden gewinnen, die gar nicht mehr als endemieproblematisch eingestuft wurden und auf die 2010 mehr als 80 Prozent der Neuerkrankungen entfielen: Angola, Tschad, Kongo, der Senegal und Mauretanien in Afrika sowie Nepal.
    Nachdem die WHO-Region Europa, die auch Teile Asiens umfasst, 2002 für poliofrei erklärt werden konnte, kam es selbst hier im Frühjahr 2010 erstmals wieder zur Einschleppung von Polioviren und nachfolgenden Krankheitsfällen aus Indien nach Tadschikistan. Dort wurden mit fast 500 Erkrankungen rund um die Hauptstadt Duschanbe zwei Drittel aller weltweiten Polioerkrankungen aufgezeichnet. Eine umfassende Impfaktion in dem zentralasiatischen Land und benachbarten Staaten, bei der nahezu alle Kinder unter fünfzehn Jahren immunisiert wurden, verhinderte eine weitere Ausbreitung, sodass ab Juli keine neuen Fälle registriert wurden. Trotzdem aber kam es zur Einschleppung von Polio nach Russland, Turkmenistan und Kasachstan. Solange die Polioviren nicht weltweit ausgerottet sind, ist eine möglichst hohe Impfrate in der Bevölkerung die beste Garantie gegen eine Verbreitung der Krankheit. In Deutschland liegt die Impfquote bei rund 95 Prozent, was die Weiterverbreitung der Polioviren nach einer Einschleppung höchst unwahrscheinlich macht – dafür aber muss die Quote auf diesem hohen Niveau beibehalten werden.
    Die WHO musste ihr Ziel der Ausrottung der Kinderlähmung also immer wieder strecken – nach gegenwärtigen Planungen soll Ende 2012 die Übertragung von Polioviren auf der ganzen Welt komplett eingedämmt sein. Dann sollen auch die verbliebenen Polioendemieländer für poliofrei erklärt werden können.
    Es steht zu befürchten, dass das auch diesmal nicht vollständig gelingen wird, dass das ehrgeizige Vorhaben abermals scheitert. Die Weltgesundheitsorganisation und ihre Partner werden aber auch diesen Rückschlag kaum zum Anlass nehmen, ihre Bemühungen einzustellen. Bei allen Schwierigkeiten wäre es auch verfehlt, auf den sprichwörtlichen letzten Metern das bisher Erreichte in Frage zu stellen – auch wenn sich diese letzte Wegstrecke wie bei einem echten Marathon als besonders mühsam erweist. Vielmehr wird man die überwältigenden Etappenerfolge als Ermunterung verstehen weiterzumachen – jedenfalls wenn es gelingt, die Finanzierung des teuren Vorhabens zu gewährleisten. Auch wenn die Krankheit nicht wie geplant vollständig ausgerottet werden konnte, so ist ihre
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