Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
und versuchte, sich zu erinnern, wo er gerade gewesen war. Aber er war noch immer ganz durcheinander vom Anblick dieses flatternden Etwas am Himmel. Plötzlich wollte er nur noch so schnell wie möglich aus dieser dunklen Gasse verschwinden, möglichst weit weg von diesem Haus. Er musste seine ganze Willenskraft aufbringen, um nicht zur Beach Street zurückzulaufen. Zum Licht. Schließlich holte er tief Luft und platzte heraus: »Der Koch hat sie erschossen. Er hat sie alle erschossen. Und dann hat er sich selbst getötet.«
    Mit diesen Worten machte Billy kehrt und winkte der Gruppe, ihm rasch zu folgen, führte sie fort von diesem verfluchten Gebäude mit seinen Geistern und seinen Echos des Grauens. Die Harrison Avenue befand sich einen Block weiter, und sie lockte mit Lichtern und Menschen und Wärme. Ein Ort für die Lebenden, nicht für die Toten. Er ging so schnell, dass seine Gruppe zurückfiel, doch er wurde das Gefühl der Bedrohung nicht los, das sich wie eine Schlinge um sie zusammenzuziehen schien. Ein Gefühl, dass jemand sie beobachtete. Ihn beobachtete.
    Der schrille Schrei einer Frau ließ ihn mit pochendem Herzen herumfahren. Gleich darauf brach die Gruppe plötzlich in schallendes Gelächter aus, und einer der Männer sagte: »Hm, nicht übel, dieses Requisit! Benutzen Sie das immer bei Ihren Führungen?«
    »Was?«, fragte Billy.
    »Haben uns echt einen tierischen Schrecken eingejagt! Das Ding sieht verdammt echt aus.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    Der Mann deutete auf den Gegenstand, den er für einen Teil der Show hielt. »He, Junge, zeig ihm, was du gefunden hast.«
    »Die hat da drüben gelegen, neben der Mülltonne«, sagte einer der Rotzbengel und hielt sein Fundstück hoch. »Uääh. Die fühlt sich auch ganz echt an . Voll krass!«
    Billy trat ein paar Schritte näher und musste plötzlich feststellen, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte. Er blieb wie angewurzelt stehen und starrte das Ding an, das der Junge in der Hand hielt. Er sah schwarze Tropfen herabrinnen und die Jacke des Jungen besudeln, doch der Kleine schien es nicht zu bemerken.
    Es war die Mutter des Jungen, die als Erste aufschrie. Dann begriffen auch die anderen und wichen entsetzt zurück. Der Junge aber stand nur verdutzt da und hielt seinen Fund hoch, von dem das Blut unaufhörlich auf seinen Ärmel tropfte.

4
    »Ich habe erst letzten Samstag dort gegessen«, sagte Detective Barry Frost, während sie in Richtung Chinatown fuhren. »Ich war mit Liz in der Ballettvorstellung im Wang Theater. Sie steht total auf Ballett, aber ich kann damit nichts anfangen, ehrlich. Bin mittendrin eingeschlafen. Danach sind wir noch zum Essen ins Ocean City Restaurant gegangen.«
    Es war zwei Uhr morgens – viel zu früh, um schon so verdammt gesprächig drauf zu sein, doch Detective Jane Rizzoli ließ ihren Partner weiter über sein jüngstes Date plaudern und konzentrierte sich aufs Fahren. Das grelle Licht der Straßenlaternen schmerzte in ihren müden Augen, und jedes Scheinwerferpaar, das ihnen entgegenkam, war ein Angriff auf ihre Netzhaut. Vor einer Stunde hatte sie noch an der Seite ihres Mannes im warmen Bett gelegen; jetzt versuchte sie, den Schlaf abzuschütteln, während sie den Wagen durch die nächtlichen Straßen steuerte. Unerklärlicherweise war der Verkehr plötzlich so dicht geworden, dass sie kaum vorankamen, und das um eine Zeit, wo jeder vernünftige Mensch längst schlafen sollte.
    »Hast du schon mal da gegessen?«, fragte Frost.
    »Hm?«
    »Im Ocean City. Liz hat diese fantastischen Muscheln mit Knoblauch und schwarzer Bohnenpaste bestellt. Ich krieg jetzt noch Hunger, wenn ich daran denke. Kann es kaum erwarten, noch mal hinzugehen.«
    »Wer ist Liz?«, fragte Jane.
    »Ich hab dir doch letzte Woche von ihr erzählt. Wir haben uns im Fitnessstudio kennengelernt.«
    »Ich dachte, deine neue Freundin heißt Muffy.«
    »Maggie.« Er zuckte mit den Achseln. »Das hat nicht funktioniert.«
    »Genauso wenig wie mit der davor. Wie immer sie hieß.«
    »He, ich versuche immer noch rauszufinden, was ich eigentlich von einer Frau will, verstehst du? Es ist schließlich eine Ewigkeit her, dass ich zuletzt auf der Suche war. Mann, ich hatte ja keine Ahnung, wie viele Mädels in dieser Stadt solo sind.«
    »Frauen.«
    Er seufzte. »Jaja. Das hat Alice mir auch immer wieder eingebläut. Heutzutage muss man Frauen sagen.«
    Jane bremste an einer roten Ampel und sah ihn von der Seite an. »Redet ihr wieder öfter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher