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Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)
Autoren: Holger Hof
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Egon Holthusenredete festlich auf den Gefeierten ein, ehe er ihm im Namen Berlins und im Namen der Nation dankte, »für das immer neue Glück, Sie lesen« und »die Gunst, einen Dichter lieben zu dürfen, der uns unter überaus schwierigen Bedingungen sagt, wo wir stehen und wer wir sind«. 51
    Dann schritt der blasse Gottfried Benn langsam durch den Raum und betrat das Podium: »ernst, freundlich, aber mit einer gewissen Distanz«, 52 und bedankte sich. Er bedankte sich beim Senator, den Künstlern, dem Redner und dem Publikum, das weder gekommen sei, um der Wahl einer Schönheitskönigin, noch einem Ringkampf beizuwohnen, sondern einem Geistesmenschen,
     
der sich den Glauben nicht nehmen lässt, dass in der S e l b s t b e g e g n u n g d e s I c h die Worte, orphisch, sich entfalten, i n i h r a l l e i n, ohne Richtung auf ein bestimmtes historisches oder materielles Ziel, diese Selbstbegegnung des Ich – die ausserhalb der endlichen Grenzen einer einzelnen Generation, ja eines einzelnen Kulturkreises im Sinne der Strophen aller Strophen, die uns der Grösste hinterliess, i h r W e s e n f ü h l t. 53
     
    Und er beendete den Festakt mit der ersten Strophe von Goethes
Divan
-Gedicht
Unbegrenzt
.

»u die Erde so leicht«
     
     
    Am 7. Juli 1956 ging die Nachricht vom Tod des bedeutendsten modernen deutschen Lyrikers durch die Weltpresse: von der Zürcher
Tat
, dem
Algemenen Dagblad
über
Dagens Nyheter, Berlingske Tidende
bis zu
Le Monde
und
L’Express
: »Der große Überlebende ist tot … Ein Künstler, dem eine solche Vollendung beschieden war, ist unsterblich.« 67
    Nur 67 Tage nach den Feierlichkeiten zum Siebzigsten traf sich die Feiergesellschaft am 12. Juli erneut. Vor vier Jahren, fast auf den Tag genau, es war ebenfalls ein heißer Sommertag und Benn war auf Kneipentour bis drei Uhr nachts, hatte er in seinem Kalender notiert:
     
    Am allerschlimmsten: nicht im Sommer
    sterben, wo alles so licht u hell
    u die Erde so für Spaten leicht 68
     
     
    Heute notierte die Witwe ins Gästebuch: »Dieselben Personen sind in der Wohnung nachmittags anwesend ausser H. Rittermann u. Tumler.« 69
    Um die Mittagszeit dieses brennend heißen Sommertages hatten sich die Verwandten, Freunde, Schriftsteller, Künstler, Verleger aus der ganzen Republik in der überfüllten Kapelle des Dahlemer Waldfriedhofes eingefunden. Durch die Fenster drang flirrendes Sonnenlicht, von beiden Seiten des Sarges der Schein der Flammen weißer Kerzen. Contrapunctus Nr. 1 und Nr. 2 aus Bachs
Kunst der Fuge
und der Choral aus der
Matthäuspassion
erfüllten die Kapelle:
     
    Wenn ich einmal soll scheiden,
    So scheide nicht von mir!
    Wenn ich den Tod soll leiden,
    So tritt du dann herfür!
    Wenn mir am allerbängsten
    Wird um das Herze sein,
    So reiß mich aus den Ängsten
    Kraft deiner Angst und Pein!
     
     
    Die Trauerrede sprach Oskar Söhngen, der Vizepräsident der Kirchenkanzlei der EKU. Zu Benns 70. Geburtstag hatte er seine Glückwünsche in die Worte des 92. Psalms gefasst: »Die gepflanzt sind in dem Hause des Herrn, werden in den Vorhöfen unseres Gottes grünen. Und wenn sie gleich alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein.« Benns Antwort: »Schlug sofort den Psalm auf – oh, daß er zuträfe! Oh, daß ich nach Psalm elf gesalbt würde mit frischem Öl, aber mir ist mehr nach Klageliedern III, 7.« – »Gott hat mich vermauert, daß ich nicht heraus kann, und hat mich in harte Fesseln gelegt.« Es war eine würdige Rede, wie allgemein befunden wurde, in der der Theologe den Propheten Jeremias zum Kronzeugen für des Dichters tragische Grundeinstellung machte, seiner
     
Verpflichtung zu unerbittlicher Wahrhaftigkeit, die allen Illusionen und Selbsttäuschungen, auch den »frommen« Illusionen und Selbsttäuschungen, den Abschied gibt, die es wagt, auf die schönen und leichten Harmonisierungen zu verzichten und vor dem »Unvereinbaren« stillezustehen. 70
     
    Danach ergriff Senator Tiburtius das Wort, dankte dem Mitbürger im Namen der Stadt Berlin für seinen stets bereiten strengen und guten Rat und versprach, das Andenken des Dichters für die Jugend in Ehrfurcht lebendig zu halten.
    Dann wurde der Sarg Gottfried Benns, gefolgt von Hunderten von Trauernden, zu Grabe getragen, vorbei an den hohen alten Kiefern, unter einem Kreuz roter Rosen und dem satten Blau des Himmels, das den Sommer vollendete.
    Hier ergriff Günther Birkenfeld das Wort für die Darmstädter Akademie für Sprache und
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