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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein
Autoren: Volker Kutscher
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schüttelte den Kopf.
    »Nur ’nen Zug«, sagte sie.
    Benny zündete die Zigarette an und reichte sie gleich weiter. Alex nahm zwei tiefe Züge und gab sie zurück.
    »Sieht gut aus«, sagte er und zog Handschuhe und einen kleinen Hut aus der Tasche. »Solltest du mal anziehen.«
    Alex zögerte nur eine halbe Sekunde, dann nahm sie die Sachen mit hinter einen Wandpfeiler und zog sich um. Das Kleid saß tatsächlich wie angegossen. Sie streifte die Handschuhe über und setzte den Hut auf. Ihr Herz klopfte, so etwas Feines hatte sie noch nie getragen. Sie fühlte sich gut in dem Kleid und gleichzeitig unsicher, ein seltsames Gefühl. So ähnlich musste es auch Benny gehen; die blöde Bemerkung vorhin hätte sie sich wirklich schenken können.
    »Täterätää«, trompetete sie und zeigte sich.
    Als sie Bennys Staunen bemerkte, fühlte sie sich gleich besser. Der Junge, der sonst nie die Klappe halten konnte, sagte keinen Ton, kam nur schweigend näher und schaute sie an, von oben bis unten, und sie wusste, dass er beeindruckt war. Wie elegant seine Bewegungen wirkten in diesen Klamotten, vor allem jetzt, als er sich leicht vor ihr verbeugte.
    »Tanzt du mit mir?«, fragte er.
    Alex lachte. »Hörst du irgendwo Musik?«
    »Ja«, sagte er, nahm ihre rechte Hand und umfasste ihre linke Schulter, »du nicht?« Er begann eine kleine Melodie zu summen und Alex langsam im Dreivierteltakt hin und her zu wiegen.
    »Ich kann doch gar nicht tanzen.«
    »Überlass das nur mir.«
    Und dann begann er sich zu drehen und riss Alex mit. Sein Griff war fest, sie überließ sich ganz seinen Bewegungen und dem Takt seines Liedes, und es ging wirklich wie von allein. Die Schaufensterschnösel mit ihren arroganten Gesichtern wirbelten vorüber, die Regale und Kleiderständer, das bunte Licht, das vom Tauentzien durch die Fenster blinkte, und als sie wieder anhielten, stellte Alex fest, dass sie durch die halbe Etage getanzt waren. Ein wenig schwindlig war ihr, und sie war außer Atem, aber eigentlich fühlte sie sich gut.
    »Wo hast du denn das gelernt?«, fragte sie. Benny erstaunte sieimmer wieder, dieser magere Junge mit dem kindlichen Gesicht, das manchmal so erwachsen und ernst wirken konnte, dass es sie erschreckte.
    »Im Heim, die Küchenmädchen haben schon mal miteinander getanzt, wenn die Nonnen nicht aufpassten, die haben mir das gezeigt. – Gefällt’s dir?«
    Sie nickte, und Benny packte sie wieder, wirbelte weiter mit ihr, diesmal in die andere Richtung. Alex war selig. Wenn ihr Vater wüsste, dass sie an solch bürgerlichem Firlefanz wie Wiener Walzer Gefallen fand, er würde seine missratene Tochter wahrscheinlich noch mehr verfluchen und verdammen, als er das ohnehin schon tat.
    Als sie wieder bei den Tabakwaren angekommen waren, musste sie sich erst einmal festhalten an ihm, allein hätte sie nicht stehen können.
    »Prima«, sagte sie, immer noch außer Atem, »hätten wir früher schon mal machen sollen. Ich hab zu wenig Übung.«
    »Vielleicht sollten wir einmal richtig tanzen gehen. So richtig schnieke, mein ich, in ’nem Tanzpalast am Ku’damm ...«
    Alex lachte. »Wenn zwei wie wir da auftauchen, werfen die uns doch gleich wieder raus!«
    »Wir müssen uns nur richtig anziehen. So wie jetzt.« Benny machte eine Pause, als fiele es ihm schwer, den nächsten Satz auszusprechen, als müssten die Worte erst ein paar Hindernisse überwinden. »Du bist wunderschön, Alex«, sagte er schließlich, und es klang, als habe er das schon lange sagen wollen. Seine Fingerspitzen berührten ihre Wange, und Alex erschrak über die unerwartete und ungewohnte zärtliche Berührung. Sie zuckte ein wenig zusammen, doch er schien das nicht zu bemerken, er schloss die Augen und näherte sich ihrem Gesicht. Erst als seine Lippen ihren Mund berührten, reagierte sie. Sie schob ihn zurück, sanft, aber energisch.
    »Benny! Das geht nicht ...«, sagte sie.
    »Wieso nicht?« Er schaute sie an und schien es nicht zu verstehen. Verstehen zu wollen.
    »Ich weiß nicht. Du bist doch erst fünfzehn.« Scheiße, Alex, sei nett zu ihm! »Versteh mich nicht falsch, ich mag dich. Du bist mein Freund.«
    »Warum kann ich dich nicht küssen?«
    Er schaute so trotzig und traurig, sie konnte nicht anders, sie nahm ihn in den Arm und streichelte ihm über den Kopf. »Ich mag dich, Benny. Aber ... das geht doch jetzt nicht. Ausgerechnet jetzt. Wir haben zu tun.«
    »Stimmt«, sagte er. »Lass uns mit dem Blödsinn aufhören.«
    Er ließ sie los und
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