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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein
Autoren: Volker Kutscher
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warum Benny außen an der Galerie hing: Er hatte sich verstecken wollen, die Fassade war seine letzte Zuflucht. Doch der Blaue musste ihn schon gesehen haben; er beugte sich jedenfalls über das Geländer und suchte den Sims ab, so als wisse er, dass da jemand sein müsse. Und dann näherte er sich der Stelle, an der Benny hing.
    Alex hätte fliehen müssen, aber sie konnte nicht, sie stand auf der Passauer Straße wie festgewachsen.
    »Die Polente ist ja schon bei ihm«, hörte Alex den Nickelbrillenmann sagen. »Warum so’n Selbstmörder sich auch ausgerechnet das KaDeWe aussucht!«
    Alex hätte am liebsten etwas geantwortet, aber sie schwieg. Sie konnte nicht genau erkennen, was da oben geschah, nur dass der Schupo jetzt bei Benny war und ebenfalls übers Geländer geklettert war. Wollte er ihm hinaufhelfen? Aber der Blaue machte keinerlei Anstalten, sich zu bücken, er blieb stehen, hatte nur den Kopf nach unten gebeugt, als würde er sich mit Benny unterhalten. Auch Benny schien etwas zu sagen, doch Alex verstand kein Wort.
    Dann hörte sie Benny kurz aufschreien und zuckte zusammen. Verließen ihn schon die Kräfte? Das konnte doch nicht sein! Ergib dich, dachte sie, hat keinen Zweck mehr, kletter wieder hoch und lass dich festnehmen. Der Bulle hatte seinen Kopf immer noch nach unten gebeugt, und im Schein der Werbeleuchten konnte Alex für einen kurzen Moment sein Gesicht erkennen, das aussah wie eine wütende Fratze. Was war da los? Hatte Benny sein loses Mundwerk mal wieder nicht halten können? Noch einmal hörte sie ihn schreien, ein langgezogener Schrei, anders als vorhin, verzweifelter. Jetzt klang er wie der Junge, der er noch war, nicht wie der Mann, der er sein wollte.
    Alex hielt ihren Kopf schräg, dass der Nacken schmerzte, und konnte doch nicht weggucken. Warum ließ er jetzt los mit der Rechten, wie wollte er sich denn halten, mit nur noch einer Hand, dazu die schwere Tasche geschultert? Sie starrte und starrte und konnte nicht glauben, was sie sah. Bis sie schließlich doch verstand und nicht verstehen wollte.
    Kein Schrei, kein Mucks, vollkommen lautlos fiel er durch dieNacht. Sie wollte nicht glauben, dass das Benny war, dieser stumme Körper, der da dem Boden entgegenstürzte.
    Sie hörte erst wieder etwas, als sein Körper aufschlug. Ein Klatschen, wie ein Sack Kartoffeln, der vom Laster gefallen ist, und gleichzeitig ein Knacken.
    Dann war alles ruhig.
    Die Starre, in der sie den Sturz miterlebt hatte, unfähig sich zu rühren, auch nur zu blinzeln, löste sich endlich wieder. Da lag Benny, keine zehn Meter von ihr, seltsam verkrümmt, und rührte sich nicht. Alex lief los und hockte sich zu ihm hin. Kaum Blut zu sehen, seltsamerweise. Bennys Augen waren geschlossen. Über ihr keuchte jemand; der Nickelbrillenmann war herangekommen und glotzte.
    Alex fauchte ihn an. »Nun holen Sie schon einen Krankenwagen!«
    Der Mann zuckte die Achseln, eher hilflos als fragend, und machte sich vom Acker.
    Alex beugte sich zu Benny, sie hörte ein röchelndes Atmen.
    Er lebte noch! Wusste sie es doch!
    Sie kniete sich aufs Pflaster, nahm seinen Kopf auf ihre Knie und streichelte ihm durch die Haare. Er schlug die Augen auf, sein Atem wurde schneller und pfeifender.
    »Alex«, sagte er, als er sie erkannte.
    »Du darfst nicht reden, gleich kommt der Krankenwagen, dann helfen sie dir.«
    »Tut mir leid, Alex. Ich hab’s verbockt.«
    »Quatsch nicht!«
    »Konnte ... konnte mich nicht mehr halten, der hat mir auf die Finger getreten.«
    Es gab ein pfeifendes Geräusch, als Benny versuchte Luft zu holen. Das Sprechen fiel ihm immer schwerer.
    »Nicht so viel reden, Benny, nicht so viel reden.«
    »Du musst hier weg ... die kriegen dich sonst. Sind ganz üble Kerle ...«
    Sie schaute nach oben, der Schupo stand immer noch da und glotzte herab, erklärte einem Kollegen irgendetwas und zeigte auf sie, zeigte auf Alex und Benny unten auf der Passauer Straße. Der andere Schupo begann, auf seinen Kollegen einzureden, schien ihnzu beschimpfen. Das konnte die Sache auch nicht ungeschehen machen.
    Wieder holte Benny Luft, und wieder pfiff seine Lunge, Alex schaute ihn an, ein Schwall Blut quoll aus seinem Mund.
    »Benny!« Sie schrie ihn an. »Halt durch, Mensch, halt durch!«
    »Alex.« Er versuchte zu lächeln. »Du gehst irgendwann mit mir tanzen, versprochen?«
    »Versprochen«, sagte sie und spürte, wie ihre Tränen zu fließen begannen. Seine Atemzüge folgten in immer kürzeren Abständen, noch einmal kam
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