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Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)

Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Andreas Stammkötter
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verschluckt.«
     
    Heidi Fleischer rannte aufgeregt zu Ludwigs Handy, das durch einen vertrauten Klingelton den Empfang einer SMS meldete.
     
    ›Es wird Zeit für die Wahrheit. Wir sehen uns im Völkerschlachtdenkmal, in der Krypta!‹
     
    Sie hatte das Völkerschlachtdenkmal noch nie als so mächtig empfunden. Ohne Frage war der 91 Meter hohe Komplex, der größte Denkmalbau Europas, ein beeindruckendes Monument, aber an diesem Abend kam es ihr noch größer und vor allem noch bedrohlicher vor als bei den vielen Besuchen zuvor, bei denen sie ihren Freunden aus dem Westen bei gelöster Stimmung das Denkmal im Rahmen einer Tour zu Leipzigs Sehenswürdigkeiten gezeigt hatte.
    Sie ging langsam auf das Gebäude zu, wobei sie sich Mühe gab, regelmäßig und tief zu atmen. Die zwölf Meter hohe Figur des Erzengels Michael, dem Schutzpatron der Soldaten, die sie bislang nur eher beiläufig wahrgenommen hatte, wirkte zum ersten Mal einschüchternd. Sie las den Schriftzug ›Gott mit uns‹ über der Skulptur, der sie ein wenig beruhigte. Steh mir jetzt bitte bei, lieber Gott, erwischte sie sich selbst beim Beten. Gebetet hatte sie schon lange nicht mehr, abgesehen von den Konzerten und Gottesdiensten in der Thomaskirche, die sie aber eher wegen Ludwig und den Thomanern und nicht wegen einer gläubigen Einkehr besucht hatte.
    Sie stand vor der Tür zur Krypta, der großen Ruhmeshalle, die zum Gedenken der 120.000 gefallenen Soldaten errichtet worden war. Erst auf den zweiten Blick fiel ihr das DIN-A4-Blatt an der schweren Tür auf, das in einer Klarsichtfolie mit Klebeband befestigt war. ›Wegen Umbauarbeiten heute geschlossen: Wir bitten um Verständnis!‹
    Sie drückte die Türklinke herunter und war überrascht, dass sich die Tür öffnen ließ.
    In der Krypta war es dunkel. Nur eine Fackel, die in der Mitte des Raumes stand, spendete spärliches, flackerndes Licht. Die Umrisse der großen Schicksalsmasken, deren brechende Augen den sich nähernden Tod symbolisierten, waren schemenhaft erkennbar. Sie wirkten unheimlich. Sie spürte, wie ihr ganzer Körper anfing zu zittern, wusste aber nicht, ob dies an der Kälte oder ihrer Angst lag.
    Zögerlich sah sie sich um. Sie schien allein zu sein. Sie fasste ihren ganzen Mut zusammen und ging zu der Fackel. Nichts regte sich.
    »Hallo! Ist hier jemand?«, es kam nur ein Krächzen aus ihrem Mund. Das Sprechen fiel ihr schwer. Ihr Hals war staubtrocken.
    Dann wartete sie einen Moment und sah sich ängstlich um. Nichts regte sich.
    Jetzt fass deinen ganzen Mut zusammen. Es geht schließlich um deinen Sohn, dachte sie. »Ludwig!«, rief sie jetzt lauter.
    Wieder keine Reaktion. Das Gefühl, dass sie allein in der großen Halle war, nahm ihr ein wenig die Angst. Wenn jemand hier wäre, hätte er sich doch bestimmt schon gemeldet. Aber was sollte das Ganze?
    Sie bückte sich vorsichtig und griff nach der Fackel in einem Ständer. Den Geruch des Petroleums nahm sie nur beiläufig wahr. Sie ging auf eine der großen Masken, die von jeweils zwei auf ihr Schild gestützten Kriegern bewacht wurde, zu und versuchte, den Zwischenraum zu erleuchten. Nichts.
    Dann bemerkte sie, dass sie an der Wand vor sich ihren Schatten sehen konnte. Sie hielt einen Moment inne. Jemand musste hinter ihr sein. Sie drehte sich furchtsam um und sah in den Lichtkegel einer Taschenlampe. Mehr als das sie blendende Licht konnte sie nicht erkennen. Sie wartete.
    »Hallo, Heidi«, ertönte eine Stimme, die sie lange nicht mehr gehört hatte.
    Sie zuckte zusammen, sammelte sich aber schnell wieder. »Franz! Kannst du mir bitte einmal erklären, was der Scheiß hier soll? Ich hatte dir ein bisschen mehr Niveau zugetraut als dieses Theater.«
    Die Stimme von Franz Fleischer blieb ruhig und sachlich. »Nett, dass du über Niveau sprichst. Hat es vielleicht Niveau, wenn man seinem Sohn sein ganzes Leben lang einen falschen Vater vorgaukelt und dafür noch Unterhalt kassiert?«
    Heidi Fleischer reagierte gereizt. Ihre Ängstlichkeit war verflogen. »Dir geht es also ums Geld? Okay. Der Manager hat ja bestimmt schon alles ausgerechnet. Wie viel soll ich dir zurückzahlen?«
    Franz Fleischer lachte bellend. »Zurückzahlen? Du hast immer noch nicht das Geringste begriffen! Ich hatte gehofft, dass du wenigstens im Laufe der letzten Jahre zur Vernunft gekommen bist. Aber du lebst ja immer noch in deiner Welt aus Lügen, Täuschung und Betrug. Wie lange muss man in einem Luftschloss wohnen, bis man selbst glaubt, das
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