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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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waren. Die Knöpfe waren aus Baumrinde gefertigt, deren rauhe Oberfläche wohl aussehen sollte wie die teuren Geweih-Manschetten der Herrschaft. Das Bild einer Schwarzen, die am Abend in ihrer Hütte saß und mit kunstfertigen Fingern versuchte, ihren Kindern Kleider zu nähen, die sie der europäischen Oberschicht des Landes angleichen sollten, rührte Cendrine zutiefst.
    Völlig versunken war sie in den Anblick des Kindes, das da im Sonnenlicht träumend den Rasen bewässerte, als mit einemmal ein Aufschrei ertönte. Überrascht blickte Cendrine auf und sah, wie die Schwarze an der Pumpe mit wedelnden Armen über den Hof gestürmt kam, geradewegs auf sie zu. Auch die drei anderen Kinder hatten zu schreien begonnen, blieben aber am Ausgang des Hofes stehen, als wagten sie sich nicht näher heran.
    Cendrine trat erst nur einen Schritt zurück, verunsichert, aber nicht furchtsam. Als sie jedoch den Ausdruck auf dem Gesicht der näherkommenden Frau sah, hielt sie es für ratsamer, doch noch einige Meter zurückzuweichen. Dabei stieß sie mit dem Rücken gegen den Wagen des Pferdegespanns und prellte sich ein Schulterblatt, Der Schmerz raste durch ihren Oberkörper wie ein Blitzschlag.
    Die Frau rannte über den Rasen und riß den kleinen Jungen mit einem solchen Ruck in ihre Arme, daß ihm die Gießkanne aus den Händen fiel und sich der restliche Inhalt über ihren Rocksaum ergoß. Sie schien es gar nicht zu bemerken, rief nur etwas Unverständliches in Cendrines Richtung und drehte sich dann so, daß Cendrine den Kleinen nicht länger ansehen konnte. Dabei stimmte die Frau einen sonderbaren Gesang an, leise auf- und abschwellend, fast wie ein Wiegenlied, als müsse das Kind in ihrem Arm beruhigt werden – und das, obgleich der Junge selbst nicht recht zu begreifen schien, wie ihm geschah.
    »Ach, du liebe Güte, was haben Sie getan!« ertönte eine Stimme vom Portal des Hauses.
    Cendrine fuhr herum und sah eine weiße Frau im Türrahmen stehen. Sie mußte um die Fünfzig sein, war aber gertenschlank, ohne mager zu wirken. Sie trug eine Reithose und eine beigefarbene enge Bluse aus festem Stoff, die verriet, daß sie kein Korsett nötig hatte, wie es bei Frauen ihres Alters Mode war. Ihr langes dunkelblondes Haar war zu einem einfachen Knoten hochgebunden, und Cendrine entdeckte keinen Schmuck an ihr, mit Ausnahme eines schlichten Eherings. Sie wirkte wie eine Frau, die mit eigenen Händen zuzupacken wußte, erschien dabei aber keinen Augenblick lang grobschlächtig. Ihre Finger waren schmal und feingliedrig, und ihr Gesicht hatte alle Merkmale, die Männer gemeinhin an Frauen preisen – volle Lippen, hohe Wangenknochen und große hellblaue Augen. Daß sie trotz allem nicht auf Anhieb als makellose Schönheit erschien, war nur eines der Rätsel, die sie Cendrine in den kommenden Monaten aufgeben sollte. Obwohl Cendrine sich die Herrin dieses Hauses ganz anders vorgestellt hatte, zweifelte sie nicht einen Herzschlag lang, daß sie Madeleine Kaskaden gegenüberstand.
    »Was haben Sie getan?« Diesmal schien es keine rhetorische Frage zu sein.
    »Ich … nichts«, stammelte Cendrine. »Ich habe zugeschaut, wie der Junge Wasser auf den Rasen gießt.«
    »Sie haben ihn angesehen?«
    »Ist das verboten?«
    Madeleine Kaskaden stieß einen tiefen Seufzer aus und eilte dann auf die Schwarze zu, die ihren Sohn noch immer fest umarmt hatte und leise vor sich hin sang. Die Hausherrin strich dem Kleinen sanft über den Kopf, dann sprach sie ruhig auf die Frau ein, kramte in ihrer Hosentasche und zog einen Geldschein hervor, den sie der Schwarzen in die Hand drückte. Sogleich lief die Frau samt ihren Kindern davon und verschwand um die Ecke des Hauses.
    Cendrine stand da und starrte verwirrt auf Madeleine, die ihr den Rücken zugewandt hatte und nachdenklich in die Richtung blickte, in die die Bediensteten davongelaufen waren. Schließlich drehte die Hausherrin sich um und kam auf Cendrine zu.
    »Einen Tag«, sagte sie, und ihr Blick verriet deutlich ihre Verärgerung.
    »Wie bitte?« fragte Cendrine eingeschüchtert.
    »Diese Frau und ihr Sohn fallen einen ganzen Tag lang aus«, sagte Madeleine. »Jemand anders wird ihre Arbeit tun müssen.« Sie schaute über Cendrines Schulter zum Eingang des Hauses. »Valerian, kümmere dich um Ersatz!«
    Cendrine bemerkte erst jetzt, daß Valerian von der Tür aus mitangesehen hatte, was geschehen war. Er grinste, als er sich wortlos ins Haus zurückzog.
    »Es tut mir leid, wenn ich

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