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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank
Autoren: Andrea Schacht
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gehen. Erleichtert nahm der Junge die Gelegenheit wahr, aus der stickigen Kajüte zu entkommen.
    Die Mannschaft hatte bis auf einen kleinen Rest Landgang, das Deck war sauber geschrubbt und leer, das Tauwerk ordentlich aufgerollt. Nur an der Reling standen zwei ins Gespräch vertiefte Männer. Der eine war ein rotbärtiger Tallymann 1 in Gehrock und Melone, doch ohne die zu seinem Stand gehörige Messlatte. Der andere schien, seiner eleganten Kleidung zufolge, ein Passagier zu sein, der aus den südlichen Ländern kam, denn seine Haut war tief gebräunt. Jan Martin machte sich klein, um nicht entdeckt zu werden. Er war zwar schon zwölf Jahre alt, aber überaus schüchtern, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab. Immerhin war er der einzige Sohn eines sehr wohlhabenden Bremer Kaufmanns. Aber seine Mutter war bei seiner Geburt fast gestorben, weitere Geschwister folgten ihm nicht. In seinen ersten Lebensjahren kränkelte er häufig und wurde entsprechend gehätschelt. Statt eine Schule zu besuchen, kamen Lehrer ins Haus, und wenn seine Cousins und Cousinen zu Besuch waren, zog er sich meist zurück, denn diese lebensstrotzende Rasselbande zog ihn zu gerne mit seiner rundlichen Figur und seiner Ungeschicklichkeit auf. Folglich mied er menschlichen Kontakt, so gut es ging, war aber in seiner stillen Art ein überaus wissbegieriger Junge und steckte seine Nase häufig tief in alle mögliche Bücher. Seine Lehrer äußerten sich voll des Lobes über seinen Verstand und seine rasche Auffassungsgabe. Insbesondere alles, was mit den Naturwissenschaften zu tun hatte, saugte er förmlich auf.
    Hier auf dem Schiff wollte er nun unbedingt die Ladung begutachten. Kakaobohnen hatte er bisher nur im gerösteten Zustand in der Küche gesehen, und angeblich hatte der Kapitän sogar einige Kakaopflanzen mitgebracht, die Doktor Roth für seine botanischen Studien geordert hatte.
    Jan Martin war schon häufiger auf vergleichbaren Schiffen gewesen und wusste, wo er zu suchen hatte. Er machte sich also daran, den Niedergang zu den Laderäumen hinabzusteigen und bemerkte dabei nicht den aufmerksamen Blick, mit dem ihn der Rotbärtige verfolgte.
    Unten im Bauch des Schiffes war es dunkel, nur spärlich fiel das Licht durch das salzverkrustete Glas der Luken. Die Luft war noch dumpfer als an Deck und voller Gerüche der unterschiedlichsten Art. Holz, Teer, Schweiß, der typisch fischige Gestank von langsam verrottenden Algen und Muscheln – und die eigenartige Ausdünstung der Ladung. Nicht so aromatisch wie gerösteter Kakao roch sie – mit der Schokolade, die Jan Martin als Getränk kannte, hatten die getrockneten Bohnen noch wenig gemein. Aufmerksam registrierte Jan Martin diesen Umstand. Um sich ein noch genaueres Bild zu machen, wandte er sich den unteren Gefilden zu, wo die prall gefüllten Jutesäcke darauf warteten, entladen zu werden. Zwar hätte er jederzeit um eine Handvoll Bohnen bitten können, schließlich gehörte die Lieferung seinem Vater, doch sein Wissensdurst wollte sofort gestillt werden. Daher zerrte er an einem der vorderen Säcke. Sie waren schwer, und nach einem ganz bestimmten Prinzip gestapelt, um ein schnelles Entladen zu ermöglichen. Das aber erkannte Jan Martin nicht, und deshalb passierte das Unglück. Der Sack löste sich aus dem Verbund der anderen, sie kippten um, einige platzten auf und übergossen ihn mit einem Schwall prasselnder Kakaobohnen.
    Alles das wäre vermutlich nicht so schlimm gewesen, hätte nicht die Sommerhitze während der Überfahrt in einem der Säcke einen Schwelbrand verursacht. Der flammte nun schlagartig auf, und der Kakao begann zu brennen.
    Jan Martin schrie, als die glühenden Bohnen ihn trafen.
    Polternd näherten sich Schritte, und laut fluchend kämpften sich der Rotbärtige und der Passagier mit bloßen Händen durch den Kakao, um den Jungen aus der entzündeten Ladung zu ziehen. Gerade noch rechtzeitig, um Schlimmeres zu verhindern. Jan Martins Kleider waren versengt, brannten zum Glück aber nicht, doch sein rechtes Ohr und die Wange waren in Kontakt mit der Glut gekommen.
     
    Fassungslos vor Entsetzen über den Unfall, brachte Vater Jantzen seinen Sohn zusammen mit dem Passagier, der sich als Lothar de Haye vorstellte, zum Arzt der Familie, der sich des Notfalls sofort annahm.
    »Eine üble Angelegenheit«, knurrte Jantzen, während Doktor Roth vorsichtig die versengten Kleider entfernte und die Brandwunden des Jungen reinigte. »Wie konnte das nur
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