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Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenpforte Die
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Legten die Köpfe zurück, rissen die Mäuler auf und spien Schwälle von tintenschwarzem, schwefelgelbem Blut aus. Alle soundso viel Augenblicke öffnete sich der Boden und moderköpfige Leichen krochen gurgelnd aus der Erde hervor. Marian sah ihnen zu und spürte keine Angst, kein Grauen mehr. Höchstens Mitleid mit diesen armen Geistern, die unaufhörlich hier draußen herumspuken mussten, anstatt endlich Ruhe zu finden.
    Jakob und seine Verfolger ließen sich glücklicherweise nicht mehr blicken. Nur einmal meinte Marian den Papagei irgendwo da oben zwischen den Wipfeln zu sehen. Ein Leuchten in allen Regenbogenfarben, vom Mondlicht versilbert. Ein windverwehtes Krächzen: »Jaa … kob!«
    Und dann, scheinbar nur ein paar Augenblicke später, schon wieder Stundenschläge vom Kirchturm her. Un wirklich laut und nah. Das kann nicht sein, dachte Marian. Dass schon alles vorbei ist?
    Zehn – elf – zwölf.
    Der 9.9. brach an.
    Es begann mit einem Rumpeln und Dröhnen, als ob die Tempelruine vollends in sich zusammensacken wür de. Oder als ob der gesamte Hexenhügel von einem Erdbe ben geschüttelt würde. Doch das Donnern kam von den Golems. Sie setzten sich auf, alle sechs zur gleichen Zeit.
    Ohne richtig zu bemerken, was er da eigentlich machte, bettete Marian die schlafende Billa neben sich ins Moos. Kroch unter der Felsnase hervor und trottete über den mondhellen Hügel auf die sechs Ungeheuer zu.
    Die wälzten sich unterdessen auf die Knie, stemmten ihre kolossalen Körper empor. Schwankend standen sie vor dem Drachenmaul, glotzten nach links, nach rechts – alle sechs mit genau gleichen Bewegungen. Ihre Arme, Schenkel, Rümpfe starrten vor Muskeln. Ihre Köpfe reichten fast schon bis zu den Wipfeln der gewaltigen Bannwaldbäume empor. Auf ihren Stirnen war klar und deutlich zu lesen, was Meister Justus dort vor 333 Jahren in blutroten Lettern eingemeißelt hatte: Ammanth . Wie alles an ihnen, so waren auch die Schriftzeichen ins Gigantische gewachsen. Doch ihr Blick aus dunklen Rie senaugen war noch immer starr, gläsern, leer.
    Marian fühlte sich sonderbar benommen, so als ob er mitten in der Nacht geweckt worden wäre. Dabei hatte er kein Auge zugekriegt, und auch jetzt fühlte er sich nicht eigentlich müde – eher so, als ob er neben sich her liefe.
    Immer weiter ging er auf die Golems zu, die ihm aus druckslos entgegenglotzten. Kein Erstaunen in ihren rosigen Riesenbabygesichtern, keine Wut, überhaupt kei nerlei Regung. Und auch Marian wunderte sich allenfalls ein klein wenig über sich selbst: weil er gar keine Angst vor den Golems spürte. Weil seine linke Hand in seine Jeanstasche fuhr, das Talmibro herausholte, obwohl er doch wusste, dass es nicht mehr funktionierte. Dass er mit dem magischen Ding so oder so nichts mehr retten könnte, egal, ob der Übergang noch blockiert war oder nicht.
    Er nahm es in beide Hände, klappte es auf. Im Spiegel zwischen den Zeilen erschien verschwommen er selbst – wie er im Mondlicht über den Hexenhügel lief, das Talmibro zwischen seinen Händen aufgespannt.
    Was hatte das zu bedeuten? Wieso war der Übergang nicht mehr gesperrt? Er zog das Talmibro so weit wie überhaupt möglich auseinander. Der Spiegel wurde durchsichtig, zeigte den Famulus, über ein aufgeschlage nes Buch gebeugt. Es lag auf einem Lesepult – aber halt, da stimmte doch was nicht. Es war nicht der schlichte, wurmstichige Tisch aus Julians Kammer. Ganz deutlich sah Marian die Schnitzereien und Intarsien auf der Pultplatte – den Drachen Ouroboros, das geöffnete Auge des Weltbaumeisters.
    Julian war in der Bibliothek von Meister Justus.
    Jetzt bekam Marian doch ein mehr als mulmiges Gefühl. Obwohl er immer noch nicht verstand, was da drüben vor sich ging. Und während er sich noch darüber klar zu werden versuchte, begann er nachzumurmeln, was der Famulus aus seinem Wälzer vorlas: »Tilabrosam … Tilabrosam … Tila …«
    Für einen kurzen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. So als hätte ihn jemand kopfüber in ein Moorloch geschmissen. Im nächsten Augenblick hatte er schon wieder freie Sicht – mehr allerdings auch nicht.

76

    Julian hockte in seinem Kopf. Der Famulus kontrollierte Marians Gedanken, seinen Willen, jede Bewegung seines Körpers. Klappte mit Marians Hand das Talmibro wieder zusammen. Ging mit Marians Beinen immer weiter auf die glotzenden Golems zu. Rief mit Marians Mund: »Hapomesthem! Turiomysta! Non chiley!« – und da überlief die Golems ein Zittern und

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