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Godspeed Bd. 2 - Die Suche

Godspeed Bd. 2 - Die Suche

Titel: Godspeed Bd. 2 - Die Suche
Autoren: Beth Revis
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ihre blasse Haut, fast so durchscheinend wie das Eis, in dem sie steckte. Aber wenn ich mir ihr Gesicht vorstelle, wie es jetzt aussieht, habe ich das energisch vorgeschobene Kinn vor Augen und die Art, wie sie größer zu werden scheint, wenn sie wütend ist.
    Ich hole tief Luft und gehe auf Marae zu. Sie weicht meinem Blick nicht aus. Sie steht hoch aufgerichtet da, die Lippen fest zusammengekniffen. Ich stelle mich unangenehm dicht vor sie, aber sie verzieht keine Miene, auch nicht, als ich beide Hände hebe und sie an den Schultern packe und so hart wegstoße, dass sie gegen die Schalttafel hinter sich kracht. Jetzt zeigen auch die anderen Techniker erste Reaktionen – die Zweite Technikerin Shelby wirkt verunsichert; der Neunte Techniker Buck verengt die Augen zu Schlitzen und spannt seinen Kiefer an; die Dritte Technikerin Haile flüstert der Sechsten Technikerin Jodee etwas zu.
    Aber Marae zeigt keine Reaktion. Das beweist, wie sehr sich Marae von allen anderen auf dem Schiff unterscheidet: Sie stellt mich nicht einmal dann infrage, wenn ich sie wegstoße.
    »Warum bist du nicht gestürzt?«, frage ich.
    Marae stößt sich von der Kontrolltafel ab. »Die Kante hat meinen Sturz abgefangen«, sagt sie. Ihre Stimme ist zwar fast emotionslos, aber ich erkenne einen misstrauischen Unterton.
    »Du wärst gestürzt, wenn dich nicht etwas aufgehalten hätte. Das erste Gesetz der Bewegung.« Ich schließe kurz die Augen und versuche, mich an alles zu erinnern, was ich zur Vorbereitung auf dieses Gespräch studiert habe. »Auf der Sol-Erde gab es diesen Wissenschaftler. Isaac Newton.« Ich habe ein Problem mit diesem Namen, weil ich keine Ahnung habe, wie man ein Wort ausspricht, bei dem zweimal hintereinander der Buchstabe a vorkommt. Es hört sich schließlich wie »Is-saaaahk« an, was bestimmt falsch ist, aber das spielt keine Rolle.
    Zumal eindeutig ist, dass die anderen wissen, von wem ich rede. Shelby sieht nervös zu Marae; ihre Augen huschen einmal, zweimal, dreimal zu Maraes unnatürlich reglosem, maskenhaften Gesicht. Die starre Körperhaltung der anderen Techniker löst sich allmählich.
    Ich muss mir ein bitteres Lächeln verkneifen. Anscheinend ist das das Einzige, worin ich gut bin: die perfekte Ordnung zu zerstören, an der der Älteste so hart gearbeitet hat.
    »Dieser Newton hat die Gesetze der Bewegung definiert. Was er geschrieben hat, ist eigentlich ziemlich logisch, aber …« Ich schüttele den Kopf, denn ich kann immer noch nicht fassen, wie simpel seine Gesetze der Bewegung eigentlich sind. Wieso bin ich bisher nie darauf gekommen? Oder der Älteste? Wieso war davon nie die Rede, obwohl mir doch der Älteste die Grundlagen aller Wissenschaften vermittelt hat? Hatte er selbst keine Ahnung oder war das wieder einmal etwas, das er vor mir geheim halten wollte?
    »Es ist das Trägheitsprinzip, das mir aufgefallen ist«, sage ich. Ich fange an, auf und ab zu gehen – eine Angewohnheit, die ich von Amy übernommen habe. Ich habe vieles von Amy übernommen, unter anderem ihre Art, alles infrage zu stellen. Wirklich alles .
    Meinen Fragen voran steht eine Angst, die ich bisher nie in Worte zu fassen wagte. Bis jetzt. Jetzt, wo ich bei den Technikern bin, während hinter meinem Rücken die Maschine ächzt und stöhnt.
    Ich schließe noch einmal kurz die Augen und in der Schwärze hinter meinen Lidern sehe ich meinen besten Freund Harley. Ich sehe die Leere des Weltraums, als die Luke aufgeht und sein Körper hinausschießt. Ich sehe den Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen. Kurz vor seinem Tod.
    »Es gibt keine äußeren Kräfte im All«, sage ich, aber meine Stimme ist kaum lauter als das Brummen und Schnarren des Antriebs.
    Es war keine äußere Kraft da, die Harley vor drei Monaten daran gehindert hätte, aus dieser Luke zu fliegen. Und jetzt, wo er draußen im All ist, gibt es keine Kraft, die ihn daran hindert, bis in alle Ewigkeit zwischen den Sternen herumzuschweben.
    Die Techniker sehen mich nur an. Maraes Augen haben sich zu Schlitzen verengt. Sie wird mir nicht entgegenkommen. Sie wird warten, bis ich die Wahrheit aus ihr heraushole.
    Ich fahre fort. »Der Älteste hat mir gesagt, dass die Maschine an Kraft verliert. Dass wir etliche Jahrhunderte hinter dem Zeitplan liegen. Dass wir den Reaktor reparieren müssen, weil sonst die Gefahr besteht, dass wir die Zentauri-Erde niemals erreichen.«
    Ich drehe mich um und sehe den Antrieb an, als könne er mir antworten. »Das ist nicht
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