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Glück, ich sehe dich anders

Glück, ich sehe dich anders

Titel: Glück, ich sehe dich anders
Autoren: Melanie Ahrens
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Gartenzaun der Kureinrichtung. Wieder einmal begegnet mir ein Eichhörnchen, als ich in schlechter Verfassung bin. Es muntert mich wieder auf.
    Louise fehlt uns unbeschreiblich. An manchen Tagen ist es kaum auszuhalten. Manchmal kommt es mir so vor, als ob sie erst gestern von uns gegangen wäre. Wochenlang plagen mich wieder diese Ohrgeräusche. Es pfeift, zischt und piept in meinem rechten Ohr. Zu viel um die Ohren, heißt es nach einem Sprichwort. Rolf hat Schmerzen in seinem linken Fuß, kann kaum laufen. Vielleicht sind es seelische Schmerzen. Der Schuh drückt. Auch hierfür das passende Sprichwort. Und ständig fallen mir Gegenstände aus den Händen, Teller zu Boden, die Cremedose, und der Inhalt klatscht auf den Boden. Alles entgleitet mir gewissermaßen. Als Rolf ständig der Türgriff unserer Speisekammer herunterfällt, sage ich: »Ja, wir haben wohl nicht mehr alles im Griff!« Als schließlich beim Abrollen des Klopapiers diese auch noch auf dem Boden landet und sich das Papier in einer langen Schlange abwickelt, kann ich es nur noch mit Humor betrachten und sage zu mir: »Melli, du bist wirklich völlig von der Rolle!«
    Manchmal frage ich mich, ob ich mich eigentlich auch einmal wieder so richtig vergnügen darf. Sicher werde ich dann von einigen schief angeguckt, die hinter vorgehaltener Hand tuscheln. Darf eine Mutter, die ihr Kind verloren hat, einmal ein Glas mehr trinken? Darf sie tanzen gehen? Darf die Mutter sich amüsieren? Darf sie herzhaft lachen? Ich versuche es.
    Loreen wird von Oma Karin behütet, und Rolf und ich fahren mit meiner Freundin Regina und ihrem Freund Norbert zu einem Fußballspiel in die Niederlande. Ich erfülle mir einen meiner lang ersehnten Wünsche: ein Nationalspiel der Oranje-Elf im Eindhovener Stadion. Ich sitze inmitten dieser Menschenmasse bunt gekleideter Oranje-Fans, und als die Mannschaft den Platz betritt, rufen und jubeln meine Freundin und ich, und wir tanzen auf unseren Stühlen. Wir halten das Stoffplakat hoch, das ich extra für Edwin – den Torwart – gebastelt habe, und er winkt uns tatsächlich zu! Wir feuern unsere Mannschaft an. Ausgelassen jubeln wir, als das erste Tor fällt, und dann setze ich mich hin und frage mich: Was machst du hier eigentlich? Du bist vierunddreißig Jahre alt, hast vor kurzem dein Kind unter die Erde gebracht und sitzt hier inmitten von sechsunddreißigtausend grölenden Menschen wie ein Teenie, der einen Superstar anhimmelt. Ich denke daran, was Louise sagen würde. Ich sehe ihr drolliges Gesichtchen vor mir: Louise, die sich vor Lachen kaum halten kann. Sie würde sich freuen. Sie würde rufen: »Mama, oh Mann, oh Mann, oh super!« Sie hätte Spaß daran. Also verlasse ich mich nur auf diese Eingebung und sehe mir das Spiel fröhlich und ausgelassen an bis zum Schluss.
    Mein erster Geburtstag ohne Louise naht. Ich sehe Louise genau vor mir mit ihrem lieben Lachen. Es ist ein ganzes Jahr her, seitdem sie an meinem Geburtstag mit Rolf auf der Gartenbank vor der Kinderkrebsklinik saß. Kurz zuvor hatten die Ärzte ihren dritten Leukämieausbruch diagnostiziert. In der Nacht zu meinem Geburtstag werde ich von lauten Geräuschen geweckt. Es ist Mitternacht. Mein Geburtstag. Ich höre Donner, sehe Blitze, und Regen prasselt gegen die Schlafzimmerscheibe. Und dann ist da dieses Wetterleuchten, erst nur ein wenig, dann immer mehr. Zwei Stunden lang leuchtet der Himmel. Ich kann gar nicht wieder einschlafen. Aber irgendwie stört es mich gar nicht. Ich schaue einfach nur zu und wundere mich nur, dass Loreen gar nicht wach wird. Die ist doch sonst immer so empfindlich. Und Rolf schläft auch tief und fest. Auf einmal kommt mir wie ein Blitz eine Eingebung: Das ist ein Pauken- und Trompetenkonzert mit Feuerwerk, nur für mich ganz allein. Ich habe ja Geburtstag. Marita, meine liebe Freundin, hatte mir schon gesagt: »Na, du wirst sicherlich ein Pauken- und Trompetenkonzert von oben bekommen!« Ja, da ist es!
    Am Morgen, als Rolf zur Arbeit gefahren und Loreen im Kindergarten ist, hole ich die Bilder hervor, die Louise während ihrer Krankenhauszeit gemalt hat. Den kleinen Blumenstrauß, den sie mir zu meinem letzten Geburtstag gepflückt hatte, habe ich getrocknet. Die Bilder und den Blumenstrauß rahme ich mir ein und stelle sie auf meinen Geburtstagstisch. Ein trauriger Tag für mich. Am liebsten würde ich meinen Geburtstag aus dem Kalender streichen. Den zweiten Mai, den möchte ich überspringen.
    Louise hat so viele schöne
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