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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Versunkenheit. Endlich konnte ich Hans in Ruhe ansehen, wie ich von Anfang an wollte. Natürlich wünschten wir, guter Ehemann, gute Mutter, daß Sabine mit dem Ablauf ihrer Urlaubstage heimkommen sollte inden Tristanweg, und gerade diese Frist, dieser uns noch bleibende Rest Unendlichkeit, vielleicht auch der dann drohende Ansturm von Sabines Finsternis machte unser stilles Leben jetzt so süß. Die Wonne staute sich vor ihrer fernen Rückkehr. Wir glaubten, für meinen Wiedereröffnungsgang ins Naturschutzgebiet noch viel Zeit zu haben.
    An einem dieser Abende fuhr Hans mit einer sanften Beschwerde dazwischen: »Man muß eine verdammt lange Strecke hinter sich bringen, bis das Jenseits kommt mit der Ewigkeit und allem. Hier unten geht es nur Schritt vor Schritt. Das ermüdet auf die Dauer. Und man lebt dann auch gar nicht mehr recht.« Er machte mich etwas bange damit, lachte dann allerdings freundlich, und ausgerechnet daraufhin, nach diesen Sätzen, hat er mich noch einmal auf den Mund geküßt. Aber leider wohl mehr zum Spaß oder als Entschuldigung. Still, Frau Wäns!
    Und was sagte er ohne Übergang danach? »Die Impertinenz ihrer Füße! Sie haben es doch auch gesehen. Schamlos nackt, schmal, weiß. Diese selbstverständliche Aufforderung, sie zu küssen wie ein Gesicht!«
    Er war gestern von seinem Schreibtisch heruntergekommen und erzählte mir bei einem Zigarillo, er sei, als er mit zehn Jahren zum ersten Mal die giftigen Früchte des Pfaffenhütchens gesehen habe, im Beisein seines verdutzten Vaters in schallendes Gelächter ausgebrochen. Wenn er es sich recht überlege, könne ihm das heute noch immer passieren. Pfaffenhütchen! Der Name, die Form, und dann so giftig! Von Sabine lag eine Karte aus Rom auf dem Tisch. Sie schrieb, es seien die Blickachsen, die von allen beliebigen Punkten aus diese Stadt einzigartig machten. Immer werde der Blick vom staubigen Straßenpflaster hoch zu einem imposanten Bauwerk geführt. Mehr stand nicht auf der Karte.
    Es steckte etwas Maßloses in ihren Zeilen und klang wie ein unbeweisbarer Vorwurf an uns.
    »Blickachsen, ein altes Prinzip der Landschaftsarchitektur. Ein bißchen hatte ich mich ja auch darum bemüht, draußen, damals, bei mir«, sagte Hans leise, immer leiser werdend in dem Moment, als ihr Anruf kam. Er sprang auf. Ich hörte, wie er am Apparat im Flur erstaunt »Sabine!« rief, halb zu ihr und halb zu mir. Dann folgten aus der Diele nur beschwichtigende Brummlaute.
    »Aus Wien inzwischen. Sie kommt schon morgen abend zurück«, berichtete er gleich von der Tür aus in die Küche rein, als wäre nun höchste Eile für irgend etwas geboten, zog auch wie ertappt die Schultern hoch, wodurch der liebe Kopf noch größer und kindlicher wurde. »Schöne Grüße. Sie ist nach einem, wie es scheint, gelungenen Abend mit getrüffeltem Käse und diesem berühmten österreichischen Weißwein, den sie alle dort trinken, weil er ein ›Pfefferl‹ habe, sagt sie, am nächsten Morgen vor den rasenden Radfahrern aus der Stadt nach Nußdorf geflohen, hat dort den ganzen Nachmittag an der Donau im Grünen auf einer Bank gesessen und offenbar in einer Art Verzauberung nur auf das schnell und hoch an der Uferkante vorüberfließende Wasser gesehen. Es sei herrlich gewesen, bis sie, viel zu spät, gemerkt habe, daß es ein schreckliches Fluten aus den Hügeln heraus gewesen sei. Die Wellen hätten ihr beinahe, Stunde um Stunde, das ganze Leben und ›die Seele aus dem Leibe gespült‹, sagt sie. Da sei sie in Panik geraten, sei noch eben rechtzeitig vor dem ›Selbstmörderfluß‹, wieder Sabine, ausgerissen und habe im Hotel schleunigst die Koffer gepackt.«
    »Wie gefährlich das klingt!« entfuhr mir im ersten Schrecken darüber, daß nun so bald alles zu Ende sein würde. Hans jedoch meinte leise, zu sich oder zu mir: »Nur ruhig Blut.«
    Ich fragte mich auch, und sagte kein Sterbenswörtchen davon, ob sich Sabine gar nicht nach uns sehnte, sondern in Wahrheit nach dem Schutz ihrer Bank.
    Die Entscheidung war gefallen. Ich mußte, allerhöchste Zeit, am letzten Tag, heute, allein mit meinem Herrn Hans, andersginge es nicht, niemals, das war die Bedingung, allein an seinem Arm, an dem ich mich schwächer stellen wollte, als ich bin, in sein ehemaliges Reich. Vielleicht würde die Freude durch den nahe gerückten Abbruch nicht gestoppt, sondern erst recht noch einmal üppig gestaucht? Und ebenso vielleicht: Warum sollte die rundliche Wiederkindlichkeit in mir nicht gegen
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