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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod
Autoren: Terry Pratchett
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breitere Straße, die in ein vornehmeres Stadtviertel führte – die Abstände zwischen den einzelnen Fackeln wurden geringer, während sich die zwischen den Müll- und Kehrichthaufen vergrößerten. In diesem Bereich gab es weder Ställe noch Buden am Gehsteig; statt dessen sah Mort richtige kleine Gebäude mit Werbeschildern über den Türen. Es waren keine Geschäfte oder Läden, sondern regelrechte Warenhäuser. In ihnen arbeiteten fest angestellte Verkäufer, und es gab dort bequeme Stühle und sogar Spucknäpfe. Die meisten von ihnen hatten selbst um diese Zeit geöffnet. Aus gutem Grund: Der durchschnittliche ankhianische Händler kann kaum schlafen, weil er dauernd an das Geld denken muß, das er nicht verdient.
    »Gehen die Leute hier nie zu Bett?« fragte Mort.
    DIES IST EINE STADT, erwiderte Tod und öffnete die Tür eines Textilgeschäfts. Als sie es zwanzig Minuten später verließen, strich Mort stolz über einen wie maßgeschneiderten schwarzen Mantel mit silbrig glänzenden Stickmustern – während der Ladeninhaber einige uralte Kupfermünzen in der Hand hielt und sich verwundert fragte, woher sie stammten.
    »Woher nimmst du die ganzen Münzen?« fragte Mort.
    OH, DAS IST GANZ EINFACH: ICH NEHME SIE AUS DEM BEUTEL.
    Ein fleißiger Friseur, der auch des Nachts die Kasse klingeln hören wollte, bescherte Mort einen Haarschnitt, der bei den jungen Leuten in Ankh-Morpork als letzter Schrei galt (wobei an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben soll, daß einige Mütter tatsächlich schrien, als sie die neueste Frisur ihrer Sprößlinge sahen). Tod nahm unterdessen in einem zweiten Sessel Platz und summte leise vor sich hin. Zu seiner eigenen Überraschung hatte er ausgesprochen gute Laune.
    Nach einer Weile schlug er die Kapuze zurück und sah zum Lehrling des Barbiers auf, der ihm gerade ein Handtuch um den knöchernen Hals schlang. Mort stellte fest, daß er ebenso hypnotisiert und benommen wirkte wie die anderen – lebenden – Menschen, die Tod begegneten.
    EINIGE TROPFEN DUFTWASSER UND EINE ORDENTLICHE POLITUR, GUTER MANN, sagte Tod zufrieden.
    Ein älterer Zauberer, der sich in einer Ecke des Zimmers den Bart stutzen ließ, zuckte heftig zusammen, als er die düstere Grabesstimme vernahm. Tod wußte, wie man einen möglichst großen Effekt erzielte: Wie in Zeitlupe drehte er den Kopf und lächelte sein bestes Totenschädel-Lächeln. Die Reaktion des Magiers entsprach dem Drehbuch: Er erbleichte.
    Mort fühlte sich recht befangen und spürte eine ungewohnte Kühle an den Ohren, als er einige Minuten später zu dem Stall zurückkehrte, in dem Tods Pferd wartete. Er trachtete danach, angemessen zu stolzieren – sein neuer Haarschnitt und der Mantel schienen eine gewisse Eleganz zu verlangen –, aber irgendwie klappte es nicht richtig.
     
    Mort erwachte.
    Eine Zeitlang blickte er an die Decke, während sein Gedächtnis auf die Rückspultaste drückte und die Ereignisse des vergangenen Tages kleinen Eiswürfeln gleich kristallisierten.
    Er konnte unmöglich dem Tod begegnet sein. Er konnte unmöglich mit einem Skelett gespeist haben, in dessen fast leeren Augenhöhlen zwei winzige blaue Sterne funkelten. Ein gespenstischer Traum, weiter nichts. Es war völlig absurd, im Soziussitz auf einem großen weißen Pferd zu reiten, das zum Himmel emportrabte und dann…
    … wohin galoppierte?
    Die Antwort kam mit der Unausweichlichkeit eines Steuerbescheids.
    Hierher.
    Vorsichtig tastende Hände berührten kurzgeschnittenes Haar und, weiter unten, weichen glatten Stoff. Das Material war weitaus erlesener als die rauhe und nach Schafen riechenden Wolle, die Mort von daheim kannte. Es fühlte sich an wie warmes trockenes Eis.
    Hastig schwang er die Beine über den Bettrand, stand auf und sah sich im Zimmer um.
    Zuerst fiel ihm folgendes auf: Die Kammer war groß, größer als das ganze Haus seiner Eltern, und trocken, so trocken wie Gräber unter einer uralten Wüste. Die Luft schmeckte, als habe sie stundenlang gekocht und sei anschließend abgekühlt. Der dicke Teppich auf dem Boden hätte einem ganzen Stamm von Pygmäen als Versteck dienen können und knisterte elektrisch, als Mort darüber hinwegschritt. Das farbliche Spektrum umfaßte nur purpurne und schwarze Töne.
    Er sah an sich herab und stellte fest, daß er ein langes, weißes Nachthemd trug. Morts Kleidung lag sorgfältig zusammengefaltet auf einem Stuhl am Bett – auf einem Stuhl, der komplizierte Knochen- und Totenschädel-Motive
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