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Geständnis

Titel: Geständnis
Autoren: bernd
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angefangen hatte, musste sie
es zu Ende führen. Was sollten sie auch sonst tun, während sie auf
den Pastor warteten?
    „ Möchten Sie einen Kaffee?“ Das war eine wirklich
unverfängliche Frage.
    Es entstand eine Pause, eine viel zu lange Pause, als könnte
Boyette sich nicht entscheiden. „Ja, bitte. Schwarz mit etwas
Zucker.“
    Dana huschte aus dem Zimmer, um den Kaffee zu holen. Er folgte
ihr mit dem Blick, studierte sie genau, ihren hübschen runden
Hintern in der schlichten Alltagshose, die schlanken Beine, die
sportlichen Schultern, den Pferdeschwanz. Ein Meter zweiundsechzig
bis vierundsechzig, schätzte er, höchstens fünfzig Kilo.
    Sie ließ sich Zeit, und als sie zurückkehrte, saß Travis
Boyette noch genauso da, wie sie ihn verlassen hatte, einem Mönch
gleich, die Fingerspitzen beider Hände aneinandergelegt, den
schwarzen Holzstock quer über den Oberschenkeln, den leeren Blick
auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Sein Kopf war geschoren,
klein, rund und glänzend, und als sie ihm die Tasse reichte, schoss
ihr die alberne Frage durch den Kopf, ob er von Natur aus früh kahl
geworden war oder absichtlich eine Glatze trug. Links an seinem
Nacken prangte eine schaurige Tätowierung.
    Er nahm den Kaffee entgegen und bedankte sich. Sie ging zurück
zu ihrem Platz, sodass der Schreibtisch wieder zwischen ihnen
stand.
    „ Sind Sie Lutheraner?“, fragte sie und griff zu ihrem
Kugelschreiber.
    „ Eher nicht. Ich bin eigentlich gar nichts. Die Kirche hat mich
nie interessiert.“
    „ Aber gestern waren Sie da. Warum?“
    Boyette hielt die Tasse mit beiden Händen ans Kinn, wie eine
Maus, die an einem Leckerbissen knabbert. Wenn ihn eine einfache
Frage nach Kaffee volle zehn Sekunden beschäftigt hatte, würde
diese womöglich eine Stunde in Anspruch nehmen. Er trank einen
kleinen Schluck und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
„Wie lange, meinen Sie, wird es noch dauern, bis ich zum Pastor
kann?“, fragte er schließlich.
    Noch viel zu lange, dachte Dana. Am liebsten wäre sie ihn
sofort an ihren Mann losgeworden. Mit einem Blick auf die Wanduhr
sagte sie: „Es wird gleich so weit sein.“
    „ Könnten wir vielleicht einfach schweigen, während wir
warten?“, fragte Boyette höflich.
    Dana betrachtete den sonderbar steifen Besucher und sagte sich
spontan, dass Schweigen keine schlechte Idee wäre. Doch dann siegte
ihre Neugier. „Sicher. Nur eine letzte Frage.“ Sie suchte mit den
Augen den Fragebogen ab, als verlangte er noch diese eine Frage.
„Wie lange waren Sie im Gefängnis?“
    „ Mein halbes Leben lang“, erwiderte Boyette, ohne zu zögern,
als würde er diese Frage fünfmal am Tag beantworten.
    Dana kritzelte etwas auf ihr Blatt, dann fiel ihr Blick auf
die Computertastatur, und sie hackte darauf los, sodass man den
Eindruck haben konnte, ihr wäre eine dringende Terminsache
eingefallen. In ihrer E-Mail an Keith stand: „Hier ist ein
Schwerverbrecher, der dich unbedingt sprechen will. Wirkt
einigermaßen anständig. Trinken Kaffee. Sieh zu, dass du fertig
wirst.“
    Fünf Minuten später öffnete sich die Tür zum Büro des Pastors.
Eine junge Frau kam herausgerannt, die sich die Augen rieb,
dahinter ihr Exverlobter, dem das Kunststück gelang, ein
Stirnrunzeln mit einem Lächeln zu verbinden. Keiner von beiden
sprach Dana an. Keiner bemerkte Travis Boyette. Sie verschwanden
nach draußen.
    Nachdem die Außentür ins Schloss gefallen war, sagte Dana zu
Boyette: „Einen Augenblick noch.“ Dann eilte sie zu ihrem Mann, um
ihm zu berichten, was ihn erwartete.
     
    Reverend Keith Schroeder war fünfunddreißig Jahre alt, seit
zehn Jahren glücklich mit Dana verheiratet und Vater dreier Söhne,
die jeweils im Abstand von zwanzig Monaten zur Welt gekommen waren.
Seit zwei Jahren war er leitender Pastor von St. Mark, davor hatte
er eine Gemeinde in Kansas City geführt. Sein Vater war
pensionierter lutherischer Pfarrer, und für Keith hatte es nie
einen anderen Traumberuf gegeben. Er war in einer Kleinstadt nahe
St. Louis aufgewachsen, unweit von dort zur Schule gegangen und
hatte - abgesehen von einem Klassenausflug nach New York und seinen
Flitterwochen in Florida - den Mittleren Westen nie verlassen.
Seine Gemeinde schätzte ihn, wobei nicht immer eitel Sonnenschein
herrschte. Einmal hatte es richtig Ärger gegeben, als er während
eines Blizzards im letzten Winter Obdachlose in die Kirche gelassen
hatte. Nachdem der Schnee getaut war, hatten sich einige
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