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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet
Autoren: Horst Petri
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aufgestellt hat. Dabei geht es nicht um berechenbare Punktwerte, sondern vielmehr um den emotionalen Stellenwert konkreter Erfahrungen. Wenn es zu einem scheinbar unlösbaren Geschwisterkonflikt gekommen ist, kann man in der Regel von starken Einseitigkeiten ausgehen, mit denen jeder der Beteiligten die eigene Bilanz überwiegend negativ, die des anderen dagegen besonders positiv eingeschätzt hat. Ingrid und Elli bieten dafür ein gutes Beispiel. Ingrid beneidete Elli um ihre Lebenssituation, weswegen diese sie einmal als »Neidhammel« beschimpfte; sie selbst betrachtete sich dagegen trotz ihrer beruflichen Erfolge als am Leben gescheitert. Elli ihrerseits erlebte ihre Schwester als selbstständig, finanziell unabhängig und in ihren Lebensentscheidungen als stark und emanzipiert, während sie sich selbst in ihrem behüteten Hausfrauendasein inkompetent und unwichtig vorkam. Diese für sie ungleiche Bilanz bildete den emotionalen Hintergrund dafür, warum sie aus Eifersucht und unterdrückter Rivalität in der Scheidung von Ingrid endlich einen wenn auch noch so irrationalen Grund hatte, ihre Schwester abzulehnen.
    Erst in einem offenen Dialog lassen sich solche einseitigen Blickwinkel korrigieren. Denn bei näherem Hinsehen erweisensich die Bilanzen als sehr viel ausgeglichener, als man vorher vermutet hat. Diese Klärung verhilft zu einer gerechteren Einschätzung der eigenen Person und des anderen. Dadurch wird das Prinzip der Gerechtigkeit wieder hergestellt und ein entscheidender Beitrag zur Versöhnung geleistet.
    Ist die Vergangenheit erst einmal wieder zu einem lebendigen Teil der Gegenwart geworden, sind der Fantasie über ihre Gestaltung und ihren Entwurf in die Zukunft hinein keine Grenzen gesetzt. Wo lagen früher die gemeinsamen Interessen? Wo lassen sie sich heute wieder aufstöbern? Wie lässt sich die Neugier des anderen gewinnen, an den eigenen Aktivitäten teilzunehmen? Bei jedem Geschwister ist im Laufe der Zeit vieles verschüttet worden oder wurde durch anderes überlagert. Viele Erwachsene haben die Lust an Tätigkeiten verloren, die sie als Kinder begeistert haben; oft wurden sie durch mangelnden Erfolg oder durch die Abwertung von Dritten entmutigt. Aber die Versöhnung mit den eigenen Grenzen lässt die Frage des Erfolgs heute unbedeutend erscheinen – es kommt alleine auf die Freude an. Besonders Geschwister können einem Mut machen, an Altes anzuknüpfen oder Neues auszuprobieren, erstens, weil sie mit den früheren Neigungen am besten vertraut sind, und weil zweitens ihnen gegenüber die Scham geringer ist als gegenüber Außenstehenden. Es ist oft erschreckend zu beobachten, wie sehr das Leben Erwachsener, die man als Kinder und Jugendliche kannte, unter dem Zwang der Verhältnisse und unter selbst auferlegten Beschränkungen verarmt ist. Viele scheinen das Leben an sich vorbeiziehen zu lassen, ohne zu bemerken, welchen Raubbau sie an ihrer Lebensfreude und ihren ursprünglichen Talenten und Interessen begehen. Oft lässt man sich durch Geschwister noch am ehesten aufrütteln.
    Gespräche sind anregend, fruchtbar und befriedigend, aber Spielen kann viel fröhlicher, heiterer und unbeschwerter sein.Wer als Erwachsener das Spielen verlernt hat, musste das Kind in sich töten. Das Spiel von Erwachsenen ist mehr als Skat, Doppelkopf und Schach. Geschwister, die gemeinsam Sport treiben, die zusammen musizieren, singen, malen, kochen – Geschwister, die teilnehmen am Spiel von anderen, ob im Theater, im Konzert, im Kino, in der Oper, im Ballett, in einer Galerie, im Jazzkeller oder in einer Fabrik für Performance-Kunst   – Geschwister, denen dieses gemeinsame Bereichern von Gegenwart und Zukunft gelungen ist, haben ein Stück ihrer Kindheit gerettet und ihr früheres Kinderspiel in ihr erwachsenes Leben integriert. Vielleicht zeigt sich in den reichhaltigen Transformationen des Spiels die reifste Form, wie Geschwisterliebe erneuert werden kann. Das Spiel ist die leichteste Form der Kommunikation und zugleich die höchste Kunst, weil sie den Ernst und die Konflikthaftigkeit der Beziehung überwunden und die Dialektik von Liebe und Hass zu einer schwerelosen Zusammengehörigkeit transzendiert hat. So mündet das Spiel zuletzt in das große befreiende Lachen, das die Geschwisterrivalität zu dem zurückführt, was sie ursprünglich war – eine Geschwisterliebe.

Ausblick:
Geschwisterliebe in einer lieblosen Zeit
    Der Golf von Volos. Anja und Steppke. Die Leichtigkeit der Geschwisterliebe.
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