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Geschichte der deutschen Sprache

Geschichte der deutschen Sprache

Titel: Geschichte der deutschen Sprache
Autoren: Thorsten Roelcke
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liegt. Die sprachliche Situation ist durch ein Vorherrschen zahlreicher Stammessprachen (insbesondere der Rhein-Weser- und der bairisch-alemannischen Gruppe) bestimmt. Der hieraus entstehende Dialektreichtum entspricht der Tatsache, dass das Deutsche im frühen Mittelalter weitgehend gesprochene Sprache ist und nur wenige schriftliche Zeugnisse aus dieser Zeit vorliegen. Diese zeigen indessen erste Ansätze zur Vereinheitlichung und Standardisierung und lassen die Entstehung erster überregionaler Schriftsprachen (etwa im alemannischen, bairischen, ostfränkischen oder rheinfränkischen Raum) erkennen. Die allgemeine Bildungssprache, die etwa den Sprachgebrauch in Wissenschaft, Religion oder Verwaltung zum größten Teil beherrscht und dabei auch das Deutsche beeinflusst, ist indessen das Latein, das noch lange Zeit als überregionale und internationale Lingua franca Verwendung finden wird.
Althochdeutsch
Sprachsystematische Merkmale (Auswahl)
Lautung
Zweite Lautverschiebung bei Konsonanten (von Süden nach Norden immer schwächer durchgeführt)
 
Monophthongierungen und Diphthongierungen (Wechsel von doppelten zu einfachen Vokalen und umgekehrt)
 
voller Vokalismus in den Nebensilben (dient der Formbildung)
 
Degrammatikalisierung (Entfall der grammatischen Funktion) bzw. Phonemisierung des Umlauts
Form- und Wortbildung
Reichtum an synthetischen Wortformen (noch wenige grammatikalisierte analytische Umschreibungen)
 
verhältnismäßig schwach ausgeprägte Wortbildung im Bereich der Komposition (bei ausgeprägter Derivation)
Satzbau
relative Freiheit der Wort- und Satzgliedfolge (freie Konstruierbarkeit von Sätzen)
Wortschatz
Erneuerung und Ausweitung (Christianisierung, Bildung von Abstrakta)
Interferenz
Entlehnungen aus dem Lateinischen (insbesondere im Wortschatz, zum Teil auch im Satzbau)
    Der große Reichtum an Mundarten geht im Althochdeutschen (ungeachtet der Ansätze schriftsprachlicher Vereinheitlichung) mit einer großen regionalen Variabilität des sprachlichenSystems einher. Und doch lassen sich in Anlehnung an die gängige Forschungsliteratur zahlreiche Charakteristika dieser Periode auf den verschiedenen Ebenen der Sprachbetrachtung angeben (vgl. die Tabelle oben).
6.3 Mittelhochdeutsch
    Die zeitliche Einordnung der mittelhochdeutschen Periode entspricht mehr oder weniger dem Hoch-, zum Teil bereits dem Spätmittelalter. Ihr Beginn ist im Rahmen der üblichen Gliederung mit dem Ende der althochdeutschen Periode um die Mitte des 11. Jahrhunderts anzusetzen. Die folgenden Jahrhunderte sind herrschaftsgeschichtlich durch die Regentschaft der Salier und der Hohenstaufer, etwa durch Friedrich I. Barbarossa (1152–90), geprägt: Es ist unter anderem die Zeit der Kreuzzüge (seit 1096), des Wormser Konkordats (1122), mit dem der Investiturstreit beendet wird, des Fehdewesens und der Landfrieden (etwa des Mainzer Landfriedens von 1235) sowie planmäßiger Gesetzgebung und Rechtsprechung (vgl. den in deutscher Sprache verfassten Sachsenspiegel, 1220–30) sowie des Thronstreits zwischen Otto IV. und Philipp von Schwaben (1198) sowie des Reichsfürstenstands, der als Gegengewicht zum Kaiser die Entstehung eines Einheitsstaates wie in England oder Frankreich verhindert. Das Ende dieser Periode, in der von einem deutschen Kultur- und Sprachbewusstsein, kaum aber von einem deutschen Nationalbewusstsein auszugehen ist, wird dabei um die Mitte des 14. Jahrhunderts angesetzt: Dies ist die Zeit, in der nach dem Interregnum (1254–1273) die spätmittelalterliche Herrschaft der Habsburger einsetzt, die deutsche Ostsiedelung und der Deutsche Orden ihren Höhepunkt bereits überschritten haben und die große Bevölkerungszunahme durch das Auftreten der Pest (1348) und anderer Naturkatastrophen ein jähes Ende findet. Angesichts solcher und anderer Gegebenheiten, die bei der zeitgeschichtlichen Grenzziehung des Mittelhochdeutschen zu berücksichtigen sind, verwundert es nicht, dass andere (auch frühere) Periodisierungsvorschläge dessenEnde erst um 1500 ansetzen und dabei das gesamte Spätmittelalter einbeziehen.
    Die Gesellschaft des hohen Mittelalters ist durch die Ständeordnung und das Feudalsystem geprägt und lässt den Adel als Träger der sprachlichen Entwicklung erscheinen. Auch wenn seit dem späten 11. Jahrhundert Städte zunehmend gegründet und deren Bürger zunehmend selbständig werden, herrscht noch immer die gesellschaftliche Vorstellung dreier gottgegebener und -gewollter Stände (Klerus, Adel
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