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Gesang des Drachen

Gesang des Drachen

Titel: Gesang des Drachen
Autoren: Claudia Kern
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durchschauen?«
    »Für mich schon. Ich lerne dich mit jedem Tag besser kennen, General.«
    »Also schön.« Es lag Naburo nicht, lange um eine Sache herumzureden. »Dann sag es mir. Du greifst auf Jahrtausende der Erfahrung zurück. Von Krieger zu Krieger: Was ist Kämpfen für dich? Welche Prinzipien und Regeln hast du gefunden?«
    »Es gibt nur ein Prinzip und eine Regel.«
    Naburo lehnte sich vor und betrachtete Spyridon aufmerksam. Das Gesicht seines Gegenübers wirkte wie eine Maske aus weißem Porzellan.
    »Sie lautet, dass es weder Prinzipien noch Regeln gibt. Nicht im Kampf.«
    Enttäuscht entspannte Naburo sich. »Das denke ich auch. Aber es gefällt mir nicht.«
    Spyridons Mund verzog sich zu einem Grinsen, das Naburo für einen Moment vergessen ließ, wie blass und krank er aussah. »Natürlich nicht, General. Wo kämen wir hin, wenn die Welten nicht nach Regeln und Gesetzen arbeiten würden?«
    »Du machst dich über mich lustig.« Es schmerzte Naburo ein wenig. Er hatte die Frage nicht gestellt, um auf Spyridon albern zu wirken und das Gesicht zu verlieren, sondern weil sie ihn interessierte. Ein Kämpfer wie Spyridon hatte mehr erlebt und überlebt, als sich Naburo vorstellen konnte. Zumal Naburo wusste, dass er zwar intelligent, aber weder übermäßig klug noch phantasiereich war. Spyridon dagegen besaß beide Eigenschaften.
    »Entschuldige. Du willst es wirklich wissen, was?«
    »Ja.«
    »Weißt du, wie Heilen am besten funktioniert? Die Art von Heilen, die sogar einige Menschen wie Wunder wirken können?«
    »Ich weiß, wie man Wunden verbindet und die Magie der Ley-Linien nutzen kann, um zu helfen.«
    »Das meine ich nicht. Wenn du die Magie einer bestimmten Art nutzt, gibst du das Tun ab. Dann handelt die jeweilige Energie durch dich. Aber die beste und einfachste Variante ist eine andere. Du stellst dir die Heilung vor und befiehlst außerhalb deines Selbst, bei allem, was ist, dass sie bereits geschehen ist. Und du bist dankbar dafür.«
    Naburo überlegte. »Du meinst das Neuformen der Realität aus Gedanken?«
    »Ja. Akzeptiere die Welt als Illusion. Und dann geh über dich hinaus und verändere sie. So funktioniert Heilen. Und Töten.«
    Die Worte verwirrten Naburo. Er konnte sie nicht vollständig erfassen.
    Ein trockenes Holzstück knisterte im Feuer. Funken stoben, dass die Glimmerelfchen in der Luft auseinanderspritzten. Irgendwo zirpte ein Insekt.
    Spyridons Aufmerksamkeit war ganz auf die Flammen gerichtet. »Ich gehe mit meinem Sein über mich und meine Aura hinaus, sammle die Kraft, die da ist – von Ley-Linien, aber auch von allem anderen, was existiert. Wenn nichts davon da ist, sogar vom Feind selbst. Außerhalb von mir befehle ich den Sieg. Wenn ich dann kämpfe, weiß ich, dass meine Feinde bereits vernichtet sind, wie ich es anordnete. Ich danke für ihren Tod, um zu erhalten, was ich wünsche und mir vorstelle.« Er blinzelte. »Manchmal ist das am Fluch das Schlimmste. Vor Yevgenji zu stehen und seinen Tod in Dankbarkeit zu befehlen, wieder und wieder und wieder.«
    Er verstummte und sah auf. Sein Blick bohrte sich in Naburos Augen wie eine Klinge. »Ist es ein gutes Handwerk, das wir ausüben, General? Liebst du es?«
    Naburo dachte über die Frage nach. Mit dem Begriff Liebe übertrieb Spyridon, wie es seine Art war. Er dramatisierte, denn Elfen konnten nicht lieben. Aber er traf einen Punkt. Tatsächlich kämpfte Naburo mit einer Leidenschaft, die nah an Liebe heranreichte. »Es ist, was ich gut kann«, sagte er und fühlte sich ausgelaugter vom langen Reden als von dem Marsch über den See. »Was in mir liegt wie eine schwarze Rose, die blühen will.«
    »Aye, General.« Spyridon lehnte sich zurück. »Nun lass uns ruhen, damit wir schnell weiterkommen.«

3.
    Im Namen des Schattenlords
     
    Noch nie zuvor in seinem Leben war Frans so glücklich gewesen – und so wütend.
    Er stand auf dem Platz vor den Hütten und betrachtete das Chaos. Jeder entwurzelte Baum und jeder verkohlte Balken war Ausdruck der göttlichen Macht des Schattenlords. Der Anblick erfüllte Frans mit Stolz. Vor dem Schattenlord knien zu dürfen war ein Privileg, und doch gab es einige, die sich ihm trotz allem, was sie erlebt hatten, immer noch widersetzten. Das machte ihn wütend.
    Frans warf einen Blick auf die Arbeitsgruppe, die ihm unterstand. Die Menschen drängten sich enger zusammen als zuvor, so wie eine Schafherde, aus deren Mitte ein Tier gerissen worden war. Micahs Tod hatte sie sichtlich
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