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Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Titel: Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg
Autoren: Kathrin Fischer
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war. Nicht bewusst sein durfte. In Klassen zu denken war politisch verpönt. Ich war Mitglied bei den Jusos und kämpfte für soziale Gerechtigkeit, Krötentunnel und die Sandinisten. Allerdings mehr aus dem vagen Gefühl, dass mein engagierter Deutschlehrer und die Völker der Welt das von mir erwarteten, als aus einem ernsthaften Gefühl der Empörung. Klassengegensätze spielten, da war ich mir sicher, nur noch in historischen Filmen eine Rolle. In meiner Clique waren schließlich auch ein paar dabei, die nicht das Gymnasium besuchten. Die Lehren machten. Aber auch Palästinensertücher trugen und kifften. Dann aber irgendwann verschwanden, weil sie im Gegensatz zu uns morgens um fünf rausmussten, weil sie arbeiteten, wenn wir uns am See trafen und über die Unzulänglichkeiten der Welt, wie sie war, sprachen. Wir wollten nicht arbeiten, wir wollten »etwas Interessantes« machen. An Geld dachten wir nicht.
    Etwas Interessantes machen. Das war bei vielen von uns Mittelschichtskindern ein vage formuliertes Lebensziel. Natürlich wollten wir mit diesem »Interessanten« auch irgendwann Geld verdienen. Aber Geldverdienen als Selbstzweck? »Ich wollte die Welt verbessern, ich wollte Entwicklungshilfe machen. Ich habe mir über Geld keine Gedanken gemacht«, sagt auch Anna, die heute Architektin ist. »Wenn man Entwicklungshilfe macht, dann braucht man ein Handwerk. Das habe ich alles ausprobiert, Gärtnerei, Krankenpflege, aber es war mir zu anstrengend. Da dachte ich, dann verbessere ich eben nicht die ganze Welt, sondern nur ein Haus, und so kam ich dann zur Architektur. Man kann auch mit guter Architektur Entwicklungshilfe machen.«
    Ich habe mich mit neunzehn für ein Philosophiestudium entschieden. An dieser Wahl hat mir tatsächlich gefallen, dass sie so wenig rationell war, so wenig instrumentell, so wenig verwertbar im »falschen Leben«, dass sie die von der Banklehre am weitesten entfernte Berufswahl war. Für Sandra, die schon immer Journalistin werden wollte, gilt das immer noch. Sie kann sich bis heute nicht vorstellen, in einer Bank zu arbeiten. Auch wenn einige ihrer Freunde dort ziemlich viel Geld verdienen.
    Das ist ein merkwürdiges Phänomen besonders der bildungsbürgerlichen Mittelschicht: die arrogante Ignoranz der Bedeutung von Geld. Eine Ignoranz, die man bei denen, die wirklich viel Geld haben, nicht findet.
    Vielleicht ist das der Versuch, finanzielle Unabhängigkeit zu demonstrieren, eine Unabhängigkeit, die es bei Menschen, die lohnabhängig sind, natürlich nicht geben kann. Vielleicht handelt es sich schlicht um Realitätsverleugnung oder um die Imitation eines Lebensstils, in dem Geld tatsächlich keine Rolle spielt.
    Dieser Zug spielte in meiner Jugend jedenfalls eine entscheidende Rolle. Statt Außen Innen, statt Geld »was Interessantes«, statt beruflichem Erfolg Selbstverwirklichung. Mein Kollege Erich schüttelt darüber nur den Kopf. »Selbstverwirklichung. Was sind das eigentlich für tolle Selbste, die sich da verwirklichen?«
    Sandra, dreißig, Zeitungsvolontärin, ist in Berlin-Zehlendorf groß geworden in einem Haus mit Garten. Ihr Vater ist Ingenieur, ihre Mutter Publizistin. In der Grundschule hatte sie eine beste Freundin, »die hatte eine Mutter, die hatte fünf Kinder, alle von verschiedenen Vätern, hat nie selber gearbeitet. Und da dachte ich, wenn man nicht arbeitet, dann lebt man halt mit fünf Kindern in einer Fünf-Zimmer-Wohnung. Das ist dann eben selbst gemachtes Pech«.
    Es ist nicht so, dass es Elend in den glorreichen Zeiten nicht gegeben hätte, als der Wohlfahrtsstaat noch in Saft und Kraft zu stehen schien. Wir waren nur der Ansicht, dass wir immun wären gegen dieses Elend. Dass es uns nicht treffen könnte. Und zwar nicht, weil wir mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden wären. Es war uns schon klar, dass wir irgendwann einer lohnabhängigen Tätigkeit würden nachgehen müssen, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Vermögen, Immobilien, Besitz hatte keiner von uns. Wir waren nicht reich, gehörten nicht zur Oberschicht. Aber natürlich waren wir der Überzeugung, dass wir dieser Tätigkeit problemlos würden nachgehen können, wenn wir uns ein wenig Mühe gäben.
    In unserem von meiner Mutter eher links geprägten Haushalt war es tabu, Menschen, die in irgendeiner Form von sozialem Elend lebten, zu verurteilen. Man unterstützte sie, ließ ihnen Fürsorge zuteil werden. Meine Mutter wurde Leiterin eines von der SPD initiierten Jugendclubs.
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