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Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle
Autoren: Ronald M. Hahn
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Fähigkeit der Analyse verlangt man von ihm nicht, da er für eine Boulevard-Bildschirmzeitung schreibt), flirtet hier und da mit Leuten, die ihr sympathisch (oder wichtig) sind, achtet darauf, daß sie sich nicht allzusehr betrinkt, beobachtet zu vorgerückter Stunde, wie sich der Saal leert und vereinzelte Pärchen oder Grüppchen sich in Nebenräume zurückziehen, schnuppert den blauen Duft anregender Glimmstengel, verwünscht ihren Manager, der dem verträumt aussehenden Spitzenfantasten beinahe auf den Schoß kriecht, schläft zwischendurch ein wenig ein und freut sich am nächsten Morgen, als sie erschöpft nach Hause fliegt (man hat inzwischen einen anderen Helikopter aufgetrieben), daß niemand sie beschmutzt hat.
     
    Als Hirschmann aufwachte, war es tiefe Nacht. Er wühlte sich aus den Decken, knipste das Licht an und erkannte an dem häßlichen Rauschen, das sich in seinem Gehirn breitmachte, daß das Programm beendet war. Ein rascher Griff nach dem Armbandsteuergerät brachte den schmerzenden Zellen Frieden.
    Er hatte Hunger und Durst. Die Wohnung lag still vor ihm, aber dennoch wagte er nicht in die Küche zu gehen, aus Angst, seine Frau könnte wach werden und ein Gespräch mit ihm anfangen. Sie tat das manchmal; besonders dann, wenn sie das Klicken der Kühlschranktür hörte und annahm, daß er sich an Dinge heranmachte, die sie für sich und die Kinder eingekauft hatte.
    Hirschmann nahm leise die im Korridor abgestellte Aktentasche an sich, öffnete sie und durchwühlte die Butterbrotdose. Im allgemeinen brachte er immer noch ein Brot aus dem Dienst mit. Aber heute hatte er Pech. Leise murmelnd ging er ans Fenster, zog die Übergardinen beiseite und warf einen Blick auf die Straße. Sie hatten Glück gehabt, daß sie zu den ersten Mietern des zweitausend Einheiten umfassenden Wupperzentrums gehörten. Damals hatte man sich die Wohnungen noch aussuchen können, und er hatte es – durch einige Beziehungen, gewiß; die Normalmiete wäre viel zu hoch für ihn gewesen – geschafft, ein Außenseitenapartment zu bekommen. Die Stadt lag still unter ihm. Gelbe Leuchten bedeckten die hellen Steinplatten unter ihm mit einem beinahe magischen Schein. Ein Mann, dessen Kleidung den Eindruck machte, als habe er damit in der Gosse geschlafen, kam langsam auf den Haupteingang zu.
    Hirschmann kniff die Augen zusammen. Wollte dieser Penner etwa …? Er hatte den Zeigefinger schon auf der Gegensprechanlage, um den Hausmeister zu alarmieren, als er den Mann erkannte. Er hieß Gerber und wohnte im zwölften Stock.
    Kurz nachdem er verschwunden war, entdeckte Hirschmann einen zweiten Hausbewohner: ein schlaksiger, hochaufgeschossener junger Mann mit wirren Haaren und langen Armen, der sich wie ein tänzelnder Affe bewegte. Auch ihn kannte Hirschmann. Er hieß Christian und war der Sohn irgendeiner Putzfrau, die mit ihrem arbeitslosen Ehemann seit einigen Jahren irgendein winziges Innenapartment bewohnte. Was suchte der Bursche um diese Zeit noch auf der Straße?
    Bei dem Gedanken, daß er vielleicht zu einer der Banden gehörte, die an den Wupperufern ihr Unwesen trieb, mußte Hirschmann frösteln. Rasch zog er die Gardine wieder vor, verdrängte den Gedanken an seine Frau und ging geradewegs in die Küche. Als er sich ein Brot schmierte, fiel sein Blick auf eine der Zeitschriften, die seine Frau zu lesen pflegte. Eine der Überschriften im Innenteil lautete: OBSZÖNER SEX IST, WENN MAN MIT OFFENEM MUND KÜSST.
    Hirschmann seufzte. Für sein Problem gab es keine Lösung, nur Konsequenzen. Er aß sein Brot, trank ein Glas fettarme Milch, schlüpfte in einen Mantel und ging hinaus. Er wußte nicht, was ihn antrieb, aber er hatte das Gefühl, daß er irgend etwas verpassen würde, wenn er jetzt ins Bett zurückkehrte. Als er das Wupperzentrum verließ und sich den Weg durch die Fußgängerzone bahnte, fiel sein Blick auf die Schaufensterscheibe eines Kaufhauses. Jemand hatte mit einer Sprühdose eine Parole darauf geschrieben.
    ES IST DEN REICHEN UND DEN ARMEN GLEICHERMASSEN UNTERSAGT, UNTER DEN WUPPERBRÜCKEN ZU SCHLAFEN.
     
    DAS WETTER: FREUNDLICH
    Nach Auflösung von starkem Dunst oder Frühnebel meist sonnig. Niederschlagsfrei. Anstieg der Tagestemperaturen auf 16 Grad, am Sonntag bis 18 Grad. Nachts Abkühlung auf 6 bis 3 Grad, am Erdboden örtlich leichter Frost.
    Gerber verließ die Redaktion von SensiTivideo kurz nach Mittag, stieg in den Wagen, den Brand ihm hatte zur Verfügung stellen lassen, und fuhr müde die
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