Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geliebte der Nacht

Geliebte der Nacht

Titel: Geliebte der Nacht
Autoren: Lara Adrian
Vom Netzwerk:
aber sie konnte das hilflose kleine Wimmern noch immer hören.
    „Pst“, murmelte sie ins Leere hinein und wiegte sich hin und her. „Sei nun leise, das Baby schläft. Sei leise sei leise sei leise …“
    Aber das Weinen ging weiter. Es wollte nicht aufhören, es wollte einfach nicht aufhören. Es zerriss ihr das Herz, als sie auf der schmutzigen Straße saß und mit leerem Blick in die anbrechende Morgendämmerung starrte.

1
    Heute
     
    „Bemerkenswert. Sehen Sie sich nur den Einsatz von Licht und Schatten an …“
    „Sehen Sie, wie dieses Bild die Traurigkeit des Ortes andeutet, aber wie es ihm dennoch gelingt, eine Aussicht auf Hoffnung zu vermitteln?“
    „… eine der jüngsten Fotografinnen, deren Werk in die neue Sammlung von moderner Kunst des Museums aufgenommen wird.“
    Gabrielle Maxwell betrachtete die Gruppe der Ausstellungsbesucher aus der Ferne. Sie hielt sich an einem Glas mit warmem Champagner fest, während schon wieder eine neue Masse gesichtsloser, namenloser Sehr Wichtiger Leute begeistert von den zwei Dutzend Schwarz-Weiß-Fotografien schwärmte, die an den Wänden der Galerie hingen. Sie warf von der anderen Seite des Baumes aus etwas verwundert einen Blick auf die Bilder. Es waren gute Fotos – ein wenig trostlos, da ihr Thema verlassene Mühlen und Hafengelände außerhalb von Boston waren, aber sie verstand nicht so ganz, was alle anderen darin sahen.
    Andererseits tat sie das nie. Gabrielle machte die Fotos nur; die Interpretation und auch ihre Beurteilung überließ sie anderen Leuten. Von Natur aus introvertiert, war es ihr unangenehm, sich als Zielscheibe dieser Unmenge an Lob und Aufmerksamkeit wiederzufinden … aber immerhin konnte sie davon ihre Rechnungen bezahlen. Und das sehr gut. Heute Abend konnte darüber hinaus auch ihr Freund Jamie, der Besitzer der hippen kleinen Kunstgalerie in der Newbury Street, davon seine Rechnungen bezahlen. Die Galerie war, zehn Minuten vor Schluss, noch immer vollgestopft mit potenziellen Käuferinnen und Käufern.
    Gabrielle war benommen von dem, was auf sie einstürzte: Händeschütteln hier, Begrüßungen da, Küsschen dort, dazu andauernd höflich lächeln. Alle, von den begüterten Ehefrauen aus Back Bay bis hin zu den vielfach gepiercten, tätowierten Anhängern der Gothicszene, versuchten, sich gegenseitig – und sie – mit Analysen ihres Werkes zu beeindrucken. Sie aber sehnte nur noch das Ende der Ausstellung herbei. Die ganze letzte Stunde hatte sie sich am Rande gehalten und über eine Flucht zu einer warmen Dusche und einem weichen Kissen nachgedacht, die beide in ihrer Wohnung im Ostteil der Stadt auf sie warteten.
    Allerdings hatte sie einigen Freunden – Jamie, Kendra und Megan – versprochen, nach der Ausstellung mit ihnen essen zu gehen. Als die letzten Besucher ihre Käufe getätigt und die Galerie verlassen hatten, wurde Gabrielle in ein Taxi verfrachtet, bevor sie die Chance hatte, auch nur daran zu denken, die Verabredung abzusagen.
    „Was für ein toller Abend!“ Jamies androgyn wirkendes blondes Haar schwang um sein Gesicht, als er sich über die beiden anderen Frauen beugte, um Gabrielles Hand zu ergreifen. „Ich hatte am Wochenende noch nie so viel Betrieb in der Galerie – und die Einnahmen von heute Abend waren unglaublich! Vielen Dank, dass ich dich präsentieren durfte.“
    Gabrielle lächelte über die Aufregung ihres Freundes. „Klar. Du brauchst dich nicht bei mir zu bedanken.“
    „Es war nicht allzu schlimm für dich, oder?“
    „Wie hätte es das sein können, wenn halb Boston ihr zu Fü ßen lag?“, schwärmte Kendra, bevor Gabrielle selbst antworten konnte. „War das der Gouverneur, mit dem ich dich beim Häppchenessen habe reden sehen?“
    Gabrielle nickte. „Er hat mir einen Auftrag für einige Werke für sein Landhaus auf The Vineyard angeboten.“
    „Ist ja toll!“
    „Ja“, erwiderte Gabrielle ohne großen Enthusiasmus. Sie hatte einen ganzen Stapel Visitenkarten in ihrer Brieftasche – das bedeutete wenigstens ein Jahr ständige Arbeit, falls sie das wollte. Warum war sie also jetzt in Versuchung, das Fenster des Taxis zu öffnen und sie in alle Winde zu zerstreuen?
    Sie ließ ihren Blick über die draußen vorbeiziehende Nacht schweifen und sah seltsam distanziert zu, wie Lichter und Leben vorbeiflackerten. Die Straßen wimmelten von Menschen: Paare, die Hand in Hand umherschlenderten, Grüppchen von Freunden, die lachten und redeten – alle hatten sie viel Spaß. Sie aßen an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher