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Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)

Titel: Gekehrte Straßen oder einfach nur darauf gespuckt (German Edition)
Autoren: Svetlana Sekulic
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aufgetaucht. Und darauf bin ich stolz,
sehr stolz geworden und auch stolz darauf geblieben. Auch wenn ich
mir als Kind die Schuld seines Fortgehens gab, da es nur an meinem
miserablen Spiel auf meinem Instrument liegen konnte, dass ihn nach
draußen befördert haben musste. Nach endlosen
Schweigeminuten, habe ich keine Lust mehr, keine Lust mehr zu warten
auf einen Rettungsring oder auf einen Trinkhalm von ihm oder auf
einen Einlass in seine autistische Welt und ich habe kein Interesse
mehr auf seine Zurückhaltung und seiner Angst vor einem Glas
Mineralwasser. Ich blicke auf meine Uhr, ohne die Ziffern darauf
erkannt zu haben und teile ihm mit, dass ich nicht mehr soviel Zeit
hätte. Keine Regung weiterhin in seinem Gesicht und nur sein
Kopf teilt mir durch ein klitzekleines Nicken ein Einverständnis
mit. Er ruft die Kellnerin herbei. Ich beobachte meinen Vater und ich
beobachte die Kellnerin direkt daneben, die wartet. Er reagiert
nicht. Ich ziehe meinen Geldbeutel aus meiner Jackentasche und
signalisiere ihm dadurch meine Freiheit und meine Unabhängigkeit.
Die Kellnerin fragt überflüssigerweise, ob die zwei
Getränke zusammengehen. Er, mein Vater benennt nur sein Wasser.
Ich benenne anschließend meine Limonade. Ich versuche mich
anzustrengen, mich gleichgültig zu zeigen, weil ich mir selbst
als die emotionale Person bewusst bin, aber nicht möchte, dass
er mir meine Enttäuschung ansieht, meine Enttäuschung
generell oder auch nur jetzt in diesem Moment. Ich gebe mich gelassen
und denke es auch geschafft zu haben. Ich reiche ihm die Hand und
verabschiede mich. `Danke Vater`. Ich schaue ihm direkt in die Augen,
die sich hinter der großen, altmodischen Brille verstecken. Er
hält den Blickkontakt aufrecht. Ich drehe mich um und gehe und
denke bei mir: Danke Vater, danke dafür, dass ich dich wieder
für einige Minuten meines Lebens näher kennenlernen durfte
und erkennen konnte, dass ich nichts erkannt habe und somit nichts
verpasst habe in all den Millionen von Augenblicken ohne dich; Dank
dafür. Ich gehe meines Weges, ohne mich nebenbei zu fragen, ob
ich mich jetzt nicht zu viel bei ihm bedankt hätte und
tatsächlich nicht eine Limonade wert bin.
    Und
es ist mir, als spüre ich seinen Blick noch lange auf mich ruhen
und ich trage das Gefühl in mir, dass er noch lange dagestanden
haben musste. Aber ich bleibe nicht stehen und ich drehe mich auch
nicht um, ich gehe meinen Weg weiter, denn ich habe nichts zu
verlieren, aber auch nichts mehr zu gewinnen, da ich mir das
Schwimmen und das sichere Gehen auf bespuckten Straßen schon
lange selbst beigebracht habe und außerdem würdest du mein
Vater, niemals dieselbe Augenfarbe, wie ich haben können. Und
ich mache mich auf den Weg zu Mutter, an die überhaupt nicht
gedacht und überhaupt nicht erwähnt wurde bei unserem
Treffen nach über zwanzig Jahren. Ich werde sie in der Anstalt
besuchen, denn sie wird, wie immer auf mich warten und wissen wollen,
was ich heute Interessantes erlebt habe oder aber ich erzähle
ihr gar nichts davon und behüte sie vor weiterem Schmerz und
lasse sie in der Freude bald für immer die Anstalt verlassen zu
dürfen.

    Der
Tag geht zur Neige, die Nacht nimmt seinen Platz ein und so setzt
sich der Tag wieder darauf.
    Und
während das hunderttausend mal geschieht, geht Nicola einen Weg
entlang, der ihn immer wieder an das Vergangene erinnern lässt
und so streift der Mond nur mit zögerlicher Gewalt die
Morgendämmerung an seinem schwarz grauen Ärmel. Und sein
Leben beginnt nicht als Spaziergänger in der Dämmerung,
aber er steht inmitten diesem Ende und das als alleiniger Akteur, als
einen Akteur eines einmaligen Daseins:
    ´Hau
ab du elender Köter´, ein missbilligender Fußtritt
befördert die schmutzige Kreatur von dem schwarzen kalten
Asphalt in die gelb braune Pfütze der schmalen
Straßenrinne. Mit eingezogenem Schwanz und nassem Fell
verschwindet der leidige, umher irrende Hund ins ungewisse Dunkel der
stillen Gassen, erhellt nur von schimmernden Leuchten, kargen
Laternen, um freudigen und weniger freudigen Nachtschwärmern
und orientierungslosen Tageträumern den Weg in eine bestimmende
Richtung zu ihren glückseligen und weniger seligen
Wohnquartieren zu weisen. So gehe ich eine Straße entlang, so
lang sie eben gehen mag und spüre die ganze Zeit über, über
viele Jahre hinweg deinen zwingenden und hoffenden Blick in meinem
Nacken, aber ich gehe weiter als wäre nichts, als wäre nie
etwas gewesen. Dem Petro werde ich
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