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Geisterlicht: Roman (German Edition)

Geisterlicht: Roman (German Edition)

Titel: Geisterlicht: Roman (German Edition)
Autoren: Elaine Winter
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und weiter in die Hügel schlängelte. Statt eines Zauns wucherte am Rand des Gartens eine Rosenhecke, die verschwenderisch in Weiß, Gelb und Rosa blühte. Die Blütenblätter bildeten einen bunten Teppich zu ihren Füßen. Vorsichtig strich Fiona mit den Fingerspitzen über eine windzerzauste weiße Rose und folgte mit ihren Blicken den zarten Blättern, die wie große Schneeflocken zu Boden fielen. Dann griff sie nach ihrem Trolley und ging zur Haustür.
    Es gab keine Namensschild und keine Klingel, was sie merkwürdigerweise noch in ihrer Überzeugung bestärkte, dass dies das Haus der Abercrombies sein musste. Obwohl sie fast sicher war, dass ihr niemand öffnen würde, klopfte sie an. Dawn war nicht da, das spürte sie. Nachdem sie ein oder zwei Minuten gewartet hatte, bückte sie sich zu der Regentonne neben den Stufen und tastete unter dem Rand nach dem Schlüssel. Sie fand ihn sofort. Die Tür öffnete sich mit einem leisen, freundlichen Knarren.
    Auch von innen wirkte das Haus freundlich und gemütlich. Es gab helles und dunkles Holz und Wände, die in den verschiedensten Farbtönen zwischen dem Rot eines Sonnenaufgangs und dem schimmernden Weiß einer Perle gestrichen waren. Die Küchenmöbel hatten offensichtlich schon bessere Tage gesehen, waren aber liebevoll gelb und blau lackiert. Auf den Holzstühlen am Tisch lagen bunte Sitzkissen. Fiona ließ sich auf einen der Stühle fallen und stellte sich vor, dass vor ein paar Monaten vielleicht noch ihre Mutter hier gesessen hatte.
    Ihre Schwester war offenbar in Eile aufgebrochen. Auf dem Tisch stand noch das benutzte Frühstücksgeschirr. Die Teetasse war halbvoll, und auf dem Teller lag eine angebissene Toastscheibe mit einem roten Aufstrich. Himbeermarmelade stellte Fiona fest, nachdem sie spontan einen Happen probiert hatte. Ihr Magen knurrte. Seit dem Frühstück im Flugzeug hatte sie nichts gegessen. Und sie liebte Himbeermarmelade!
    Nachdem sie genüsslich den kalten Toast verspeist hatte, zog sie den Teller näher zu sich heran, griff nach dem Messer, nahm eine Scheibe Weißbrot aus der Packung in der Tischmitte und bestrich sie mit Butter und Himbeermarmelade, die sie aus dem Kühlschrank holte. Als sie den ersten herzhaften Bissen nahm, meinte sie, hinter sich ein leises Rascheln zu hören. Fiona fuhr herum, doch niemand war zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie den Wind in den Bäumen vor dem Haus gehört.
    Nachdem sie zwei Scheiben Brot mit Marmelade gegessen und den restlichen kalten Tee aus der Kanne getrunken hatte, stieg Fiona die schmale Treppe in den ersten Stock hinauf. Hier oben gab es drei Schlafzimmer. Zwei waren leer und aufgeräumt, das dritte gehörte offensichtlich Dawn, die ihr Bett ebenso hastig verlassen hatte wie den Frühstückstisch. Die Decke hing halb auf dem Boden, und überall waren Kleidungsstücke im Raum verteilt.
    Im Zimmer neben dem von Dawn stand ein breites Holzbett, dessen Kissen und Decke mit blütenweißer Wäsche bezogen waren. Auf dem Kopfkissen fand Fiona einen Zettel.
    Herzlich willkommen, liebe Fiona!
    Dies ist Dein Zimmer! Mach es Dir gemütlich. Ich bin so bald wie möglich wieder da und freue mich schon sehr auf Dich.
    Deine Schwester Dawn
    Lächelnd las Fiona den kurzen Brief ein zweites Mal und fühlte sich tatsächlich willkommen. Sie bugsierte ihren Koffer die schmale Treppe hinauf und räumte ihre Sachen in den Kleiderschrank in der Ecke des Zimmers. Dann öffnete sie das Fenster und sah hinaus auf die grünen Hügel. Sie hatte das seltsame Gefühl, schon oft hier gewesen zu sein. Das konnte an den Fotos liegen, die sie sich als Kind oft angesehen hatte, wenn sie traurig gewesen war.
    Wenn ihre Mutter und ihre Schwester ihr zu sehr fehlten, hatte Fiona oft Bilder von Schottlands Bergen, Tälern und Seen betrachtet und sich vorgestellt, was Noreen und Dawn wohl gerade machten. Als sie dann älter wurde, hatte sie irgendwann aufgehört, wegen ihrer Mutter Tränen zu vergießen. Aber trotzdem war es ihr nie wirklich gelungen, damit aufzuhören, die andere Hälfte ihrer Familie zu vermissen, ganz egal, wie oft sie sich auch einredete, es sei ihr egal, dass ihre Mutter und ihre Schwester sich nie bei ihr meldeten.
    Wenn sie an all die Jahre dachte, in denen sie den Kontakt zu ihrer Mutter und Dawn so schmerzlich vermisst hatte, spürte Fiona eine unendliche Traurigkeit. Wieder stieg heftige Wut auf ihren Vater in ihr hoch, und sie bohrte die Fingernägel in ihre Handflächen, bis es schmerzte. Plötzlich
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