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Geisterlicht: Roman (German Edition)

Geisterlicht: Roman (German Edition)

Titel: Geisterlicht: Roman (German Edition)
Autoren: Elaine Winter
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weckt mich kurz vorher oft telefonisch.«
    »Wie schön.« Dawn gluckste immer noch vor sich hin. »Und wer ist nun der Mann, von dem du deiner Freundin Anja vorschwärmen wolltest?«
    »Das erzähle ich dir, wenn ich in Schottland bin.«
    »Ich werde dich daran erinnern«, versprach Dawn.
    Nachdem sie sich von ihrer Schwester verabschiedet hatte, legte Fiona das Telefon weg und hoffte inständig, dass Dawn bei ihrer Ankunft den Mann aus Fionas Traum wieder vergessen hätte.
    Es wäre ihr peinlich gewesen, ihrer Schwester von ihren seltsamen Träumen zu erzählen, in denen es immer wieder um den einen Mann ging, den sie in wachem Zustand noch nie gesehen hatte. Ganz für sich nannte Fiona ihn ihren Traummann, und Anja war der einzige Mensch, dem sie jemals von ihm erzählt hatte. Bevor sie Dawn solche Geheimnisse anvertrauen würde, mussten sie und ihre Schwester sich erst einmal richtig kennenlernen. Obwohl Fiona das Gespräch eben schon seltsam vertraut vorgekommen war, als würden die zwei Jahre, die Dawn und sie in frühster Kindheit gemeinsam verbracht hatten, immer noch ein Band zwischen ihnen knüpfen. Die Sehnsucht, ihre kleine Schwester nach all den Jahren endlich wiederzusehen, fühlte sich an wie ein Magnet, der sie kraftvoll in Richtung Schottland zog.
    Schwungvoll sprang Fiona aus dem Bett. Sie hatte viel zu erledigen, wenn sie morgen abreisen wollte. Zuallererst musste sie mit ihrem Vater sprechen.
    Fiona stürmte durch den mit Marmor ausgestatteten Empfangsbereich der Anwaltskanzlei, marschierte an ihrem eigenen Schreibtisch vorbei und riss die Bürotür ihres Vaters auf.
    »Papa, ich brauche Urlaub!«, verkündete sie, ohne sich mit einem Guten-Morgen-Gruß aufzuhalten.
    Ihr Vater schaute von dem Schriftstück auf, in das er gerade vertieft gewesen war, und schob sich die Brille in die Stirn, von wo aus die Gläser Fiona wie ein zweites Paar Augen anstarrten.
    »So plötzlich?«, erkundigte er sich in jenem gelassenen Ton, der Fiona manchmal ohne besonderen Grund wütend machte.
    Sie nickte energisch. »Ich muss dringend nach Schottland. Zu meiner Schwester.«
    Von einer Sekunde auf die andere wurde Siegfried Kramer leichenblass. Mit zitternder Hand pflückte er sich die Brille wieder von der Stirn und legte sie auf seinem Schreibtisch ab.
    Fiona ließ sich auf einen der beiden Besucherstühle fallen und fixierte ihren Vater aus schmalen Augen. »Was ist aus den Briefen geworden, die meine Mutter mir geschrieben hat?«, fragte sie ihn unumwunden. Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben, doch die Wut schnürte ihr die Kehle zu und ließ ihre Stimme hoch und schrill klingen.
    Jetzt bildeten sich auf den bleichen Wangen ihres Vaters kreisrunde tiefrote Flecke. »Ich hatte Angst, dich auch noch zu verlieren«, flüsterte er nach einer langen Pause und sah dabei hinunter auf seine Akten.
    Einen winzigen Moment lang hatte Fiona Mitleid mit ihm, doch dann stieg der Zorn wieder in ihr hoch. »Ich habe all die Jahre geglaubt, meine Mutter wolle nichts von mir wissen! Dabei hat sie immer wieder geschrieben. Und du hast sogar die Briefe abgefangen, die an mich persönlich adressiert waren!« Sie beugte sich vor und schlug so heftig auf die Schreibtischkante, dass ihre Hand schmerzte. Die Brille ihres Vaters machte einen erschrockenen kleinen Hüpfer, er selber saß bewegungslos auf seinem Stuhl.
    »Sie wollte dich ursprünglich nicht bei mir lassen«, sagte er so langsam, als würde ihm jedes Wort Schmerzen bereiten. »Ich habe sie erpresst, indem ich drohte, einen endlosen Sorgerechtsprozess um meine beiden Töchter zu führen, wenn sie mir freiwillig nicht wenigstens eine von euch ließe.«
    Fiona spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. »Und wie genau habt ihr entschieden, welche von uns hierbleiben und wer mit nach Schottland gehen sollte? Habt ihr um uns gewürfelt? Streichhölzer gezogen?«
    Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Das war eigentlich nie die Frage. Dawn war noch so klein. Und du warst immer so etwas wie ein Papakind. Meine große Tochter. Weißt du nicht mehr, wie wir früher oft zusammen im Wald wandern waren? Und im Winter sind wir Schlitten gefahren. Wir haben so viel Schönes zusammen unternommen. Noreen und ich, wir dachten beide, es würde dir weniger als Dawn ausmachen, ohne Mutter aufzuwachsen. Als dann aber Noreen jede Woche mindestens einen Brief schickte, hatte ich plötzlich Angst, du würdest nun auch zu ihr nach Schottland wollen, wenn ich dir ihre Grüße ausrichtete. Wenn du sie
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