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Geisterblumen

Geisterblumen

Titel: Geisterblumen
Autoren: Michele Jaffe
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Geschichte später erzählen«, versicherte ich ihm.
    Er rutschte zur Seite, fiel beinahe hinunter, und ich musste ihn wieder hochziehen.
    »Halt durch. Nur noch ein bisschen. Halt durch.«
    Während ich auf Medusa, diesem herrlichen, magischen Pferd, über die staubig-goldene Erde galoppierte, schluchzte ich vor mich hin. »Du schaffst es, Liebling«, wiederholte ich und wusste nicht, ob ich mit Grant oder dem Pferd redete.
    »Nur noch ein bisschen«, wiederholte ich immer wieder, während meine Tränen auf Grant hinuntertropften. Ich drängte Medusa vorwärts, klammerte mich mit den Oberschenkeln an ihr fest, meine Hand in der Mähne verschlungen. Ich würde nicht noch einen Menschen in meinen Armen sterben lassen.
    Am Horizont tauchte ein Gebäude auf, und ich erinnerte mich daran, dass wir bei der Hinfahrt an einer Feuerwache vorbeigekommen waren. Medusas Hufe trommelten in einem wilden Galopp auf dem Wüstenboden. Die Feuerwehrleute mussten die Staubwolke gesehen haben, denn sie warteten schon vor dem Gebäude auf uns. Sobald wir nahe genug herangekommen waren, brüllte ich: »Der Mann ist verletzt, er braucht einen Krankenwagen.« Sie wurden sofort aktiv.
    Jemand band Medusa fest, und ich fuhr mit Grant im Krankenwagen und hielt seine Hand. Als er kurz vor der Ankunft im Krankenhaus starb, hielt ich sie noch immer.

49. Kapitel
    I ch hatte mir schmerzhafte Prellungen zugezogen, und meine Fußsohlen waren schlimm zerschnitten. Doch ich ließ nicht zu, dass man mich mit einem Schlafmittel ruhigstellte. Eines musste ich noch erledigen.
    Ich presste die Zähne aufeinander, um den Schmerz zu betäuben, als ich sie in der Tür stehen sah. Sie trug ein weißes Kleid und hielt einen Papierflieger in der Hand. Ihre Zöpfe machten leise Geräusche, als sie sich wieder und wieder im Kreis drehte und mit dem Papierflieger elegante Bögen beschrieb.
    »Nina«, sagte ich. »Was machst du denn hier?«
    Sie blieb stehen und lächelte mich an. Sie sah aus, als wäre sie gewachsen; ihre Arme waren lang und sehr dünn. »Ich wollte dich besuchen.«
    »Mir fallen leider keine Geschichten mehr ein.« Ich fühlte mich schrecklich, als würde ich sie im Stich lassen, aber ich war so erschöpft. Ich konnte mich nicht bewegen.
    Sie wirkte schüchtern und ein bisschen nervös, wie bei unserer ersten Begegnung. »Schon gut. Ich bin nicht wegen einer Geschichte gekommen. Ich wollte dir etwas sagen. Ich habe alles herausgefunden. Ich kenne die Antwort.«
    »Die Antwort worauf?«
    Sie sah mich genervt an. »Woran du merkst, wohin du gehen musst, natürlich.«
    »Oh.« Beinahe hätte ich gesagt:
Dafür ist es zu spät
. »Wie denn?«
    Sie sah mich ernst an. »Du merkst, dass du nach Hause läufst, wenn du dich nicht mehr umdrehst.«
    Sie hatte recht! Es war so einfach. Ich war verblüfft, dass ich nicht selbst darauf gekommen war.
    Sie küsste mich auf die Stirn und flüsterte: »Leb wohl, Eve.« Dann sah ich eine andere Frau hinter ihr stehen. Sie hatte das Gesicht abgewandt, schaute mich jetzt aber an.
    »Mommy?«
    Sie lächelte so strahlend, dass es sich anfühlte, als sprühten auch in mir Funken. »Wie geht es meinem Mädchen?«
    »Es tut mir so leid, Mommy.«
    »Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen, Baby.«
    Ich weinte jetzt, die Tränen brannten auf meinen Wangen. »Als du an dem Tag angerufen hast, war ich so wütend auf dich, dass ich nicht rangegangen bin. Ich habe es einfach immer weiter klingeln lassen. Ich hätte rangehen müssen. Und am nächsten Tag warst du … warst du weg. Ich hätte rangehen müssen. Hätte ich das getan, wäre ich nicht so undankbar und egoistisch gewesen, würdest du noch leben.«
    »Nein, Liebes«, sagte sie und strich mir übers Haar. »Ich habe angerufen, um mich von dir zu verabschieden.« Ein Teil von mir wollte das nicht glauben, doch ich wusste tief in meinem Inneren, dass es stimmte. Ich hatte es immer gewusst. »Du hättest mich nicht retten können. Niemand hätte das gekonnt.« Sie küsste mich auf die Stirn. »Du musst dir selbst verzeihen.«
    »Ich weiß nicht …«
    »Schsch.« Sie legte mir den Finger auf die Lippen. Und verschwand.
    Ich öffnete die Augen und sah, wie Althea zur Tür hereingeschoben wurde. Sie wirkte zerbrechlich, doch ihre Augen blickten wach und konzentriert. »Helfen Sie mir auf«, sagte sie zu dem Krankenpfleger.
    »Ma’am, Sie sollten wirklich …«
    »Niemand wird mich daran hindern, meine Enkelin zu umarmen.«
    Und dann stand sie da, die Arme um mich
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