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Gehetzt

Titel: Gehetzt
Autoren: Colin Forbes
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und aus diesem Grund dort nur seine schwächsten Einheiten postiert.
    In den frühen Morgenstunden des 10. Mai rückte General von Rundstedts Heeresgruppe A, eine Armee von bisher beispielloser Kampfkraft, unbemerkt durch die ›unpassierbaren‹ Ardennen vor. Zu der Heeresgruppe A gehörten vierundzwanzig Divisionen, größtenteils Panzerdivisionen mit über zweitausend gepanzerten Fahrzeugen. Die ganze Nacht hindurch sickerten die Einheiten in das unübersichtliche Gelände ein, rückten der französischen Grenze immer näher. Die Panzer fuhren hintereinander in geschlossener Formation, wobei sich jeweils der Hintermann an den abgedunkelten Rücklichtern des Vordermannes orientierte – eine Taktik, die die Panzerbesatzungen bis zum Überdruß geübt hatten. Von oben, durch eine Infrarot-Kamera betrachtet, mußten die vorrückenden deutschen Truppen wie gepanzerte Schlangen aussehen, die sich durch die Dunkelheit Richtung Maas wanden.
    Die Panzerdivision an der Spitze von einem zweiunddreißigjährigen General kommandiert, der sich seine Sporen – und seinen hohen Rang – im Polen-Feldzug verdient hatte. Seine Einheit hatte der Wehrmacht den Weg in das brennende Warschau frei gemacht, und jetzt wollte er ihr den Weg ins ferne Paris ebnen. Ohne aristokratischen Fürsprecher, nur aufgrund seiner persönlichen Befähigung, war der General in wenigen Jahren zum Befehlshaber der Speerspitze aufgestiegen, die sich jetzt tief in das Herz des schlafenden Frankreich bohren sollte.
    Sein Panzer rollte an der Spitze, und der General stand aufrecht wie eine deutsche Eiche im Turm. Vor seiner Brust baumelte das starke Nachtglas, an seinem Kragen blitzte das Ritterkreuz. Sein Blick folgte der Motorradstreife, die vor dem Panzer herfuhr. Sein Falkengesicht zeigte nicht die geringste Regung. Seine Hand, die in einem Handschuh steckte, lag auf dem Rand des Turmes und hielt den Körper im Gleichgewicht, während das unförmige Fahrzeug durch die Schlaglöcher rumpelte. In diesem Moment wirkte er wie ein Kommandeur, der nach gelungenem Manöver die Glückwünsche der Militärbeobachter entgegennimmt, um anschließend mit den Offizierskameraden im Kasino einen zu heben – mit dem kleinen Unterschied allerdings, daß der General nicht rauchte und auch keinen Alkohol trank, und dem zweiten kleinen Unterschied, daß er und seine Einheit sich nicht im Manöver befanden, sondern die Vorhut der deutschen Truppen bildeten.
    Er würde die entscheidende Rolle bei der völligen Vernichtung der Engländer und Franzosen spielen – dessen war sich der General sicher.
    Am 12. Mai erreichte die deutsche Heeresspitze die Maas und überquerte sie am 13. Mai. Am 16. Mai, einem Donnerstag, stand der General schon in Laon, im Herzen Frankreichs. Er führte den Vormarsch an, aufrecht im Turm stehend, auf dem Kopf – trotz der Einwände seines Adjutanten Oberst Hans Meyer, der ihm riet, den Stahlhelm aufzusetzen – die Mütze der Panzersoldaten.
    »Völlig unnötig, Meyer, Sie werden sehen«, hatte der General nur gesagt, »wir überrollen sie wie eine Lawine.«
    Mürrisch hatte der Oberst den Helm wieder weggelegt. Dabei erinnerte er sich an ein Gespräch, das er vor einem Monat bei den letzten Kriegsmanövern in der Nähe von Wiesbaden mit dem General geführt hatte. Diese Unterhaltung schien Meyer nun mindestens ein Jahr zurückzuliegen; jetzt überquerten die Panzer bereits auf Pontons die Maas.

    »Es wird zwei oder drei schwerere Gefechte geben, sobald wir die Maas überquert haben«, hatte der General behauptet.
    »Zwei, drei Wochen erbitterter Kämpfe, dann liegt der Feind am Boden.«
    »Das sollte mich wundern«, hatte Meyer zweifelnd geantwortet.
    Für seine Begriffe war der General ein wenig zu selbstsicher und überheblich, besonders, wenn er daran dachte, daß sein kommandierender Offizier eigentlich ein Niemand war, während er, Hans Meyer, aus einer der ältesten und angesehensten Familien Ostpreußens stammte. Doch man mußte mit der Zeit gehen, und Meyer war schließlich erst dreiundvierzig Jahre alt. Während er beobachtete, wie die endlose Panzerkette durch die französische Landschaft rollte, wurde Meyer wieder einmal schmerzlich bewußt, daß er sich von diesem Krieg Ehren, Beförderungen und Auszeichnungen versprochen hatte. Doch dies hing hauptsächlich von der Gunst seines Generals ab. Also machte er Zugeständnisse und verbarg die Zweifel an seinem Vorgesetzten tief in seinem Innern.
    Hinter der Maas trafen die Panzerkolonnen
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