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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde
Autoren: Oliver Adam
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Sie angehen.«
    »Ich höre.«
    »Sie bauen Mist, alter Freund. Sie können nicht einfach weiter Fahrstunden geben. Entweder Sie verschaffen sich eine Zulassung. Oder Sie hören auf. Ich gebe Ihnen zwei Monate.«
    »Okay«.
    Ich stieg aus, er ließ seine Scheibe runter.
    »Nehmen Sie es mir nicht übel. Normalerweise hätte ich den Laden Ihres Bruders schon dichtmachen müssen …«
    »Kein Problem, Inspektor.«
    »Verdammt, nennen Sie mich nicht so.«
    »Wie soll ich Sie nennen?«
    »José …«
    »Kein Problem, José.«
    »Wird’s gehen?«
    »Es wird gehen.«
    Mir fiel keine bessere Antwort ein. Es würde gehen, wir würden zusehen, dass es ginge, das war meine Devise geworden, und ich gewöhnte mich allmählich daran, jeden Tag, den Gott werden ließ, blickte ich zum Himmel und fragte mich, was heute wieder kommen könnte, ich betete, es möge nur nicht allzu schlimm sein und es möge die Kinder verschonen. Im Wohnzimmer blinkten die Lichterketten, laut ertönte Le Roi des papas , und auf den Tischen lagen jede Menge noch nicht fertiger Bilder.
    »Ist es gut gelaufen?«, fragte ich Justine.
    »Super«, antwortete sie mit einem umwerfenden Lächeln.
    Ich war völlig fertig. Ich ließ mich aufs Sofa fallen, während sie ihren Mantel anzog. Die Kinder kamen zu mir, und wir schliefen zusammen vor dem Weihnachtsbaum ein, ab und zu blinzelte ich, um verschwommen die Lichter zu sehen. Wie als ich klein war. Manon und Clément machten es genauso, wir ließen uns einlullen von dem orangefarbenen, grünen, lila Schimmer, dem Geruch nach Mandarinen und Wald, dem Glitzern der Kugeln und dem Geräusch des Regens. Ich weiß nicht, wie wir die ganze Nacht durchgehalten haben, aber wir schliefen bis zum Morgengrauen, angezogen und aneinandergepresst. Wir klammerten uns fest wie auf einem Floß.
    Das Telefon weckte uns. Ich ließ mich so auf den Boden gleiten, dass die Kinder auf dem Sofa ungestört blieben. Sie drehten sich gleichzeitig zur Rückenlehne und schliefen weiter. Combe wollte mich sehen, es war dringend.

Ich fuhr zu schnell, aber das hatte nichts zu bedeuten. Ich fuhr immer zu schnell. Am Steuer schweiften meine Gedanken ab, und wenn mein Blick zufällig auf den Tacho fiel, zeigte er 170. Sarah hatte oft wegen der Kinder gemotzt, meine Eltern waren schon bei einem Autounfall gestorben, das reichte doch, oder? Ich fuhr langsamer, bis zur nächsten Geistesabwesenheit. Bei Le Mans hielt ich an, trank einen widerlichen Kaffee in einer Tankstelle, aber ich durfte nicht einschlafen. Ich rief Alex an, alles lief gut, die Kinder hatten sich angezogen und frühstückten, ich brauchte mir keine Sorgen zu machen, Nadine und er würden sich gut um sie kümmern. Ich hatte sie am Vorabend zu ihnen gebracht, weil ich im Morgengrauen losfahren wollte. Alex war überrascht gewesen.
    »Was machst du in Paris?«
    »Ich treffe einen Produzenten.«
    »Hast du wieder angefangen zu schreiben?«
    »Nein. Nicht direkt. Er hat ein Projekt für mich. Einen Auftrag.«
    »Worum geht’s?«
    »Die letzten Tage von Nino Ferrer.«
    »Na toll, das passt ja.«
    »Deshalb haben sie an mich gedacht …«
    »Gut, und wann kommst du wieder?«
    »Am 24. abends.«
    »Mach keinen Scheiß! Denk an die Kinder.«
    »Was glaubst du, was ich Tag und Nacht tue?«
    »Entschuldige. Der Laden ist jedenfalls bis zum Ersten geschlossen. Nadine freut sich, wie du dir denken kannst … Ansonsten hab ich eine gute Nachricht.«
    »Schieß los.«
    »Nadine und ihr Typ, das ist vorbei.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß es.«
    »Nicht schlecht, Alter. Man kann sagen, du hast noch mal Glück gehabt.«
    »Hm, ja, das kann man so sagen.«
    Ich fuhr weiter, es war fast Tag, ein milchiger Nebel hing über den Feldern und in den Tälern, schon bald würde die Île-de-France kommen, und alles würde trübselig und flach werden, nicht enden wollendes braunes Land. Ich legte das letzte Album von Johnny Cash auf, er sang mit einem Fuß im Grab, seine Stimme hauchte nur noch. Ich hatte Watte im Kopf, die warme Heizungsluft blies mir ins Gesicht, das Auto fuhr ganz von selbst auf der leeren Autobahn, ab und zu riss ich mich zusammen, als hätte man mir eine Ohrfeige verpasst. So erreichte ich die Umgebung von Paris. Ich war mittags verabredet, es war noch nicht zehn, ich beschloss, bei uns vorbeizufahren. Natürlich hatte das überhaupt keinen Sinn, natürlich war es zu früh, als dass die Dinge sich mir anders hätten darstellen können, natürlich war alles dasselbe und ganz
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