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Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne

Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne

Titel: Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
Autoren: Nalini Singh
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den Fesseln gezerrt haben. Seine Handgelenke waren wundgescheuert und nass von Blut.
    Dorian schluckte den Fluch hinunter, der ihm auf den Lippen lag, steckte das Messer in die Hosentasche und befreite den Jungen erst von den Ohrstöpseln und dann von der Augenbinde. Erstaunt sah er in blaugraue Augen, die in unerwartetem Kontrast zu dem dunklen Goldton seiner Haut standen, die beinahe wie antikes Geschmeide schimmerte. „Keenan.“
    Der Junge sagte nichts, sein Gesicht blieb unnatürlich ruhig. Bereits in diesem Alter war er auf dem Weg in die Stille von Silentium, hatte gelernt, seine Gefühle zu unterdrücken und ein guter Medialenroboter zu sein. Aber abgesehen von dieser ruhigen Fassade war er noch viel zu jung, um die bodenlose Angst vor dem Gestaltwandler zu verbergen, der ihn gerade anblickte. Der stechende Geruch von Angstschweiß stieg Dorian in die Nase. Kinder sollten nicht gefesselt und als Geisel benutzt werden. Das war kein fairer Kampf.
    Der Wagen hielt noch einmal an. Die Tür auf der gegenüberliegenden Seite öffnete sich, und Judd stieg ein, ein Gewehr über der Schulter. „Wir müssen es jetzt tun, sonst finden sie seine Spur im Medialnet.“ Er legte ebenfalls die Maske ab und sah sie mit seinen kalten, braunen Augen an, strich aber sanft über das Gesicht des Jungen. „Keenan, wir müssen deine Verbindung zum Medialnet trennen.“
    Der Junge wurde steif und lehnte sich an Dorian. „Nein.“
    Dorian legte den Arm um den zarten, zerbrechlichen Körper. „Du musst tapfer sein. Deine Mutter will, dass du in Sicherheit bist.“
    Die außergewöhnlichen Augen sahen zu ihm hoch. „Werdet ihr mich töten?“
    Dorian sah Judd an. „Wird es wehtun?“
    Ein kurzes Nicken.
    Dorian nahm Keenans Hand, das Blut aus seiner Wunde vermischte sich mit dem des Kindes. „Es wird verdammt wehtun, aber danach ist alles in Ordnung.“
    Keenan sah ihn fassungslos an, und genau das hatte Dorian mit seinen offenen Worten beabsichtigt. Judd schloss die Augen. Der Mediale arbeitete mit allen Kräften daran, die Schilde des Jungen zu öffnen und in seinen Geist einzudringen, um Keenans Verbindung zum Medialnet zu trennen – einem geistigen Netzwerk, in dem alle Medialen miteinander verbunden waren, ausgenommen natürlich die Abtrünnigen. Nur Sekunden später schrie der Junge auf, und es lag ein solcher Schmerz darin, dass Dorian Judd dafür hätte schlagen mögen. So plötzlich, wie er begonnen hatte, brach der Schrei ab, und Keenan sank bewusstlos in Dorians Arme.
    „Mein Gott“, sagte Clay und bog auf eine stark befahrene Schnellstraße ein. „Ist alles in Ordnung mit dem Jungen? Tally bringt mich um, wenn er auch nur einen Kratzer abbekommen hat.“
    Dorian strich dem Kind die Haare aus der Stirn. Sie waren ganz glatt, nicht gelockt wie die seiner Mutter. Er hatte sie zwar nur einmal durch das Zielfernrohr seines Gewehrs gesehen, und die Haare waren zu einem Zopf geflochten gewesen, aber er hatte sie trotzdem wiedererkannt. „Er atmet.“
    „Nun“, Judd zögerte, weiße Linien zogen sich um seinen Mund, „das ist seltsam.“
    „Was denn?“ Dorian zog die Jacke aus und deckte Keenan damit zu.
    „Ich sollte ihn in das Netzwerk unserer Familie holen.“ Judd rieb sich unwillkürlich die Schläfen und sah Keenan an. „Aber er ist … irgendwo anders hingegangen. Da er noch am Leben ist, nehme ich an, er hat sich dem geheimen Netzwerk der DarkRiver-Leoparden angeschlossen – von dem ich eigentlich nichts wissen darf.“
    Dorian schüttelte den Kopf. „Unmöglich.“ Medialengehirne waren anders als die der Menschen oder der Gestaltwandler – sie brauchten das Biofeedback eines geistigen Netzwerks. Trennte man diese Verbindung, trat beinahe augenblicklich der Tod ein. Deshalb waren Abtrünnige äußerst dünn gesät. Judds Familie Lauren hatte es nur geschafft, indem sie selbst ein kleines Netzwerk aufgebaut hatte. Mit ihren geistigen Gaben konnten sie das sogenannte Laurennetz weiterführen und neue Mitglieder aufnehmen. Aber das Sternennetz, das Netz der Leoparden, war ganz anders.
    „Er kann unmöglich in unser Netz gelangt sein.“ Dorian runzelte die Stirn. „Es ist ein Gebilde der Gestaltwandler.“ Durch Loyalität entstanden, nicht aus Notwendigkeit, gewährte es nur einer ausgewählten Schar Zutritt – den Wächtern der Leoparden, die ihrem Alphatier Lucas die Treue geschworen hatten, und deren Gefährtinnen.
    Judd zuckte die Achseln und lehnte sich zurück. „Vielleicht hat der Junge ja
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