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Gefaehrliche Kaninchen

Gefaehrliche Kaninchen

Titel: Gefaehrliche Kaninchen
Autoren: Kirsten John
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Grand Theft, von dem seine Mutter anscheinend nicht weiß, dass das Spiel erst ab achtzehn ist. Georg ist der Coolste von allen. Er ist ein »Emo«, das heißt, er zieht sich schwarz an und hört komische Musik, ansonsten ist er genauso aufgekratzt wie der Rest der Familie. Der Rest bis auf Leonie.
    Sie steht inmitten dieser absolut tollen Familie und sieht aus wie erfroren. Und die Mitglieder ihrer Familie verhalten sich, als wollten sie sie eigenhändig auftauen. Zumindest fassen sie sie ständig an. Knuffen, schubsen oder tätscheln sie, sie wird geküsst und geherzt, gestupst und gestreichelt, beworfen und ausgekitzelt. Und Max gleich mit. Manchmal hat er das Gefühl, mitten in einem großen Knäuel Menschenhände zu stecken, und er findet das Gefühl toll.
    »Vielleicht sind wir bei der Geburt vertauscht worden und haben erst jetzt unsere richtige Familie gefunden«, sagt er ein wenig atemlos, als er sich an der Tür von Leonie verabschiedet.
    »Ja, vielleicht«, antwortet sie und verzieht hilflos das Gesicht.
    Nach der Vorstellung folgt Phase zwei ihrer Familientauschaktion: die Zeckenphase.
    »Wir müssen uns einnisten wie die Zecken«, sagt Max, »und nicht mehr loslassen.«
    In Max’ Haus heißt das, ständig und überall zu lesen. Das ist schwer und man muss Geduld haben. In der Zeckenphase kann Max allerdings schon ab und zu das Zimmer verlassen und eine Runde Nintendo in seinem Zimmer spielen, ohne dass es auffällt. Leonie sitzt derweil im Wohnzimmer mit seiner Mutter und liest. Erst wenn seine Mutter hochschaut und fragt »Wo ist eigentlich Max?«, muss Leonie aufstehen und ihn holen. Doch die Fragen werden seltener.
    Das Einsetzen von Max der Zecke ist sogar noch einfacher: Alle finden ihn toll. Die anderen haben nach dem Umzug noch keine neuen Freunde und sie finden es klasse, dass ausgerechnet Leonie schon einen hat.
    Das Problem ist nur, dass Leonie sich nicht langsam zurückziehen kann, so wie Max.
    Das liegt daran, dass das Reihenhaus, in dem die Familie wohnt, wirklich sehr, sehr klein ist: Leonie lebt zusammen mit ihrer Schwester, und Lukas und Lars teilen sich ebenso ein Zimmer wie Tristan und Georg. Die Eltern schlafen im Wohnzimmer auf der Couch, die nachts ausgezogen wird. Außerdem gibt es noch zwei Rennmäuse, die allerdings nicht so viel Platz brauchen. Leonie kann nicht einfach in ihr Zimmer gehen, und im Badezimmer einschließen geht auch nicht, weil ständig jemand auf die Toilette, sich die Hände waschen oder den Rennmauskäfig sauber machen muss.
    Es gibt keinen Ort, wo Leonie sich verstecken kann.
    »Das ist ja das Problem«, murmelt sie.
    Max ist zwar drin in der Familie, aber nur wenn Leonie da ist. »Das ist kein richtiger Tausch«, findet er. Doch weil den beiden erst einmal nichts Besseres einfällt, gehen sie direkt zu Phase drei über.
    Phase drei ist die Unsichtbarkeitsphase. Da Max für seine Eltern sowieso die ganze Zeit unsichtbar war, ist diese Phase im Maxhaus die allereinfachste: Leonie setzt sich einfach mit ihrem Buch zu Max’ Mutter ins Wohnzimmer und beginnt zu lesen.
    »Oh, hallo Leonie, Schatz«, sagt Max’ Mutter, als sie zufällig einmal hochsieht. »Ich hab dich gar nicht kommen hören. Ist Max auch da?«
    Leonie spürt, wie ihr das Blut ins Gesicht schießt. »Der ist oben«, sagt sie und findet selbst, dass das unnatürlich und hohl klingt.
    Aber Max’ Mutter scheint es nicht zu merken. Sie nimmt die Brille ab, die sie nur zum Lesen aufhat, und reibt sich die Nase dort, wo sie gesessen hat. »Ich glaube, ich mache mir mal einen Tee. Möchtest du auch eine Tasse?«
    »Sehr gern«, lächelt Leonie.
    Wenig später sitzt sie im großen Ohrensessel am Kamin, der nicht brennt, weil Sommer ist. Neben ihr auf einem Beistelltisch steht eine dampfende Tasse Tee. Eigentlich mag sie keinen Tee, aber was soll’s: Es ist nichts zu hören außer dem Ticken der Uhr auf der Kommode. Wenn jemand eine Seite umschlägt, dann knistert es.
    Leonie hat die Beine untergeschlagen, lauscht in die Stille und ist glücklich.
    Phase drei in der Leoniefamilie ist schlicht unmöglich.
    »Wie ich schon sagte: Das ist ja das Problem«, sagt Leonie.
    Alle in der Familie sind ununterbrochen bemüht, Leonie in ihre Spiele mit einzubeziehen, weil sie sie für schüchtern halten. Sie suchen sie und sie finden sie. Überall.
    »Leonie ist immer so schüchtern«, sagt beispielsweise ihr großer Bruder Georg. Und dann stürzt er sich auf sie und kitzelt sie, bis sie fast weint vor
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