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Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt
Autoren: Andreas Altmann
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war ich einer Henne über den Weg gelaufen, die mit mir schmusen wollte.

Fremde Sprachen
    Will einer hinaus in die Fremde, muss er Fremdsprachen können. Eine immerhin, das wäre ein Anfang. Mit Englisch beginnen klingt intelligent. Verfügt jemand über zweitausend Vokabeln, dann kann er – grob geschätzt – mit einer Milliarde anderer Weltbewohner reden, sprich, tausend Millionen beim Geschichtenerzählen zuhören. Sind es (viel) weniger als zweitausend, dann reicht es allerdings nur zum typischen Babytalk: How are you?, Never bette r !, Do you like my country? , Very much so!, My name is Rabindranath Jitendra Kumari and what is your name?, My name is Andrej Anatoli Andrejewitsch!, Where do you come from?, I come from far away!, What is your father’s name?, My father’s name is Igor Andrej Andrejewitsch!, Is Paris really full of sexy girls?, Yes, very full! , How many children do you have?, Maybe none!, Where is your wife?, Just around the corner! , Do you want to see my uncle’s shop?, Certainly! Tomorrow!
    Lauter Fragen, auf die man nach drei Tagen nur noch mit einer Kalaschnikow-Salve reagieren will. Oder Antworten, die den eigenen Verfall ins Bewusstsein rufen. So Lebenszeit raubend sind sie, so penetrant erinnern sie an den Umgangston in einer Irrenanstalt. Da ich nie eine Flinte dabeihabe, renne ich immer mit der schönen Lüge davon, dass meine Gattin bereits ungeduldigst auf mich wartet. Nur eine Ecke weiter. Kann ich nicht wegrennen, im Zug, im Flugzeug, beim Essen, dann simuliere ich einen Hörsturz. Oder eine Malaise. Mir ist jede Finte recht, um dem globalen Blabla zu entrinnen.
    Als Erwachsener eine Sprache lernen ist eine Herausforderung. Der Vorgang hat mit dem schönen Wort »Beharrlichkeit« ( persistence ) zu tun, mit Frust aushalten. Mit der Gabe, eine Zeit lang sein eigenes Gestotter ( own stutter ) zu ertragen. Deshalb lieber auf den Kauf läppischer Nordic Walking-Stöcke oder noch läppischerer Fahrradhelme verzichten und einen nächsten Intensivkurs buchen. Oder ein Weltempfänger-Radio kaufen. Oder englischsprachige Zeitschriften und Bücher bestellen. Oder online einen geduldigen Fremden finden, den man stundenweise – als Gesprächspartner – dafür bezahlt, dass er live miterlebt, wie man seine Sprache massakriert. Oder alles zusammen. Denn drei Dinge muss der Lernende tun: die Fremdsprache lesen, sie hören, sie sprechen. Täglich. Und er muss sich in die neue Sprache verlieben. Ihren Glanz erkennen, ihren Witz, ihren oft anderen Blick auf die Welt. Die Engländer fragen: »Wer kennt England, der nur England kennt?« Soll sagen: Man muss die Heimat verlassen, um sich woanders umzusehen. Um anschließend die eigenen Zustände besser zu verstehen, sie vergleichen zu können, sie grandios zu finden oder jämmerlich, ja, um sich erst weit, weit weg seiner innigsten Gefühle dem eigenen Land gegenüber gewahr zu werden. Liebe ist bisweilen umständlich, oft will sie Umwege, um bei sich anzukommen. Heimatliebe, Menschenliebe, alles kompliziert.
    Drei kleine Beispiele, als Beleg dafür, dass Leute mit einer anderen Sprache anders fühlen: »She is a beautiful country.« Damit meinen sie, die Inselbewohner, ihr Großbritannien. Ist das nicht herzerwärmend, das eigene Land als »she«, als weiblich, zu empfinden? Wären die Deutschen nicht um zwei Grad cooler, wenn sie Deutschland als schöne Deutsche sehen würden?
    Oder: »You’re really getting on my wick«, du gehst mir echt auf die Eier. Erstaunlich, denn »the wick« ist der Docht. Docht und Eier, irgendwie liegen sie nah beieinander. Man erkennt an der Redewendung, dem Original und der Übersetzung, dass die beiden Völker die Empfindsamkeit gewisser Körperteile verschieden einschätzen.
    Zuletzt: »I wouldn’t touch you with a barge pole«, ich würde dich nicht einmal mit einer Kneifzange anfassen. Die beiden letzten (englischen) Wörter sind noch aufschlussreicher, denn ein »barge pole« ist eine Ruderstange. Die sprichwörtliche britische Distanz kommt da zum Vorschein. Der Widerwille einer Person gegenüber wird durch ein Teil ausgedrückt, das drei Meter lang sein kann. Wir sind da weniger zimperlich. Eine Zange ist viel kürzer.
    Drei von unzähligen Verschiedenheiten. Wer eine Sprache lernt, lernt die Muttersprachler kennen. Er sammelt Worte und Empfindungen, Ansichten und Standpunkte. Und er begreift eines Tages, ist er nur eigensinnig genug, die Schönheit der neuen Wörter. Ich hatte Englisch wie so viele
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