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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum
Autoren: Stanislaw Lem
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Radarverbindung versagte, schaltete der Roboterpilot die Motoren aus. Was inzwischen vor sich ging, das ist schwer zu beschreiben. Der Alarm brachte die ganze nördliche Halbkugel auf die Beine. Die Rettungsmannschaften starteten in Wellen vom Mond, vom Mars und von der Erde. Im ganzen waren es mehr als sechshundert Raketen. Du kannst dir denken, was für eine Aufregung herrschte, wenn ich dir sage, daß zum erstenmal seit dreißig Jahren sogar der gesamte Güterverkehr in der zweiten Marszone einige Stunden eingestellt wurde. Bevor aber die Rettungsraketen an Ort und Stelle, eintrafen, war bereits ein Mensch dort, ein Pilot vom Zentralinstitut für die Erforschung der Lichtgeschwindigkeit. Er machte gerade einen Versuchsflug mit einer Rakete, die für sehr hohe Geschwindigkeiten konstruiert war. Der Brennstoff war beinahe erschöpft. Er war auf dem Weg zur Basis, als er die Funkmeldung hörte. Er wich sofort von seinem Kurs ab. Da seine Rakete eine riesige Geschwindigkeit entwickeln konnte, war er bereits eine Viertelstunde später an der Unfallstelle und tauchte in den Nebel. Eine Zeitlang kreiste und kreuzte er, bis er im Radio der gesuchten Rakete das Weinen der Kinder hörte. Da das Radio Langwellen benutzte, konnte er zwar die Richtung nicht feststellen, aber mit den Kindern sprechen. Er schaltete seine Motoren aus und begann langsam auf den Asteroiden hinunterzufallen.“
    „Weshalb hat er die Rakete nicht gesucht?“
    „Tja… Würdest du eine Nadel suchen, die ins Meer gefallen ist? Ein Raum von ungefähr zweihundert Milliarden Kubikkilometern war mit diesem Nebel gefüllt. Er hätte sein ganzes Leben lang suchen können, ohne die Rakete zu finden. Er tat das Richtigste und Vernünftigste: Er ließ seine Rakete auf den Planetoiden sinken. So näherte er sich zwangsläufig der Kinderrakete auf einige Dutzend Kilometer; denn der Asteroid war, wie ich schon sagte, sehr klein. Kurz, er glitt allmählich tiefer und sprach mit den Kindern. Sie hatten Lebensmittel, Luft und Wasser genug, fürchteten sich aber, und deshalb erzählte er ihnen Märchen, bis sie eingeschlafen waren. Der Pilot wachte, und am Morgen erzählte er weiter. Ein Probeflug dauert gewöhnlich nicht länger als zwei Stunden. Er hatte deshalb nur einige Stärkungstabletten und ein paar Schluck Kaffee bei sich, mit dem er sich von Zeit zu Zeit die Kehle anfeuchtete, um nicht heiser zu werden. Kannst du dir das vorstellen? Das war keine gewöhnliche Rakete, sondern ein Versuchsmodell des Instituts. Der Pilot lag von Kopf bis Fuß bandagiert in seiner pneumatischen Hülle im Dunkeln, das Mikrophon am Hals, und erzählte Märchen. Die ersten Rettungsraketen trafen erst am anderen Tag ein, und es vergingen noch einige Stunden, bevor sie ihn und die Kinder gefunden hatten.“
    „Warst du dieser Pilot?“
    „Nein… Ameta.“
    „Ameta?“
    „Ja.“
    „Hat er dir das erzählt?“ fragte ich ungläubig, denn das sah gar nicht nach Ameta aus.
    „Nein.“
    „Woher kennst du alle Einzelheiten?“
    „Wir müssen aufbrechen, die Sonne geht unter. Wir müssen noch an den Bauabschnitt sechs. Woher ich die Geschichte kenne? Ich war eines dieser Kinder…“
    Als wir die Arbeiten kontrolliert hatten und in unser gepanzertes „Haus“ zurückkehrten, lugte nur noch der Rand der Sonnenscheibe wie ein Kamm langsam dahinwandernder Flammen über den Horizont. Über unserem Weg lag bereits undurchdringliches Dunkel, in dem wir wie in einer Tintenflut anfangs bis an die Knie, dann bis an die Hüften und endlich bis an die Schultern versanken. Schließlich leuchteten nur noch die höchsten Felsspitzen über dem Meer der Finsternis. Aber auch diese letzten Lichter wurden eines nach dem anderen von der Nacht ausgelöscht. Zorin hatte die ganze Zeit über geschwiegen. Am Eingang unserer Unterkunft blieb er stehen und sagte unerwartet: „Einige Leute behaupteten, er habe unvernünftig, unvorsichtig gehandelt. Er antwortete: ,Im Ozean leben in Kalkschalen winzige Geschöpfe, Strahlentierchen. Sie haben sich seit siebenhundert Millionen Jahren nicht verändert. Das sind die vorsichtigsten Geschöpfe der Welt. ‘ “
    Für die Konstruktionsberechnungen benutzten wir ein kleines Elektronenhirn. Abends saß Zorin gewöhnlich am Tisch und diskutierte mit ihm. Das Hilfsgerät war nur für einen eng begrenzten mathematischen Sektor eingerichtet und war natürlich in seiner Leistung nicht mit den mächtigen Automaten der Gea zu vergleichen. Zorin mußte häufig lange auf
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