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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum
Autoren: Stanislaw Lem
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auszudrücken. Doch nicht sie allein haben einen Anspruch auf meinen Bericht; denn im Laufe der Zeit und in dem Maße, in dem die Entfernung wuchs, die uns von der Erde trennte, vergrößerte sich der Kreis derer, die mir nahe stehen.
    In jenen Jahren hoben sich allnächtlich von allen Kontinenten der Erde, aus kleinen Ansiedlungen und Städten, aus Laboratorien, von Berggipfeln, von den künstlichen Satelliten, aus den Observatorien auf dem Mond und aus den Raketen, die innerhalb unseres Sonnensystems verkehren, die Blicke von Millionen Menschen zu dem Abschnitt des Himmelsgewölbes, in dem der kleine Stern blinkt und blitzt, der unser Reiseziel war.
    Als wir in den Schlund der Finsternis hinter der äußersten Grenze der Sonnengravitation verschwunden waren und uns mit jeder Sekunde Tausende von Meilen weiter von der Erde entfernten, begleitete uns euer Gedenken auf dem weiten Weg. Was wären wir in dieser Metallhülse mitten in diesem sterndurchfunkelten Dunkel gewesen, als die physikalischen Gesetze das Band der Signalisierung zerrissen, das uns mit der Erde verknüpfte, wenn wir nicht gewußt hätten, daß Milliarden Menschen an unsere Rückkehr glaubten?
    Deshalb umfaßt nun der Kreis meiner Freunde Nahe und Ferne, Vergessene und Unbekannte – alle, die nach unserem Abflug zur Welt kamen, und jene, die ich niemals Wiedersehen werde. Ihr alle seid mir gleich teuer, zu euch allen spreche ich in diesem Augenblick. Es war notwendig, gerade solche Entfernungen zu durchmessen, solche Leiden und solche Jahre zu erleben, um zu begreifen, wie gewaltig das ist, was mich mit euch verbindet, und wie klein, wie geringfügig das, was uns trennt.
    Ich habe nicht mehr viel Zeit vor mir. In der Eile, all das auszusprechen, was war, werde ich mich vielleicht manchmal nicht klar und verständlich genug, ja chaotisch ausdrücken; ich will aber versuchen, euch deutlich zu zeigen, wie notwendig es für uns war – bedingt durch die Ereignisse, über die Herr zu bleiben wir uns bemühten –, wenn auch nur mit einem blitzschnellen Blick, den ganzen Weg zu überschauen, den der Mensch von Anbeginn an durchmaß.
    Die Expedition erscheint uns nun wie die Bezwingung eines gigantischen Gipfels, der den Ausblick auf Ewigkeiten erschließt. In Wirklichkeit haben wir nur eine der Stufen eines unermeßlichen Abhanges erklommen, dessen Höhen die Zukunft verbirgt. Hunderte und Tausende Jahre werden vergehen, in denen unsere Taten und unsere Geschichte zu einer kleinen, wenn auch unbedingt notwendigen Etappe zusammenschrumpfen und all diese, jetzt durch unser Blut zum Leben erweckten Ereignisse tote Buchstaben vergessener Chroniken werden. Unsere Namen werden unbekannt sein, unbekannt wie das ferne Sterngewimmel, das nur in der Gesamtheit seiner Gruppierungen einen Namen besitzt. Groß, erhaben sind die Gestirne, stark, mächtig und ewig im Verhältnis zum Leben der Menschen, das aus ihnen erstand. Denn die Sterne schaffen den Menschen und töten ihn. Der Mensch aber bahnt sich seinen Weg zwischen den Sternen, er lernt den Raum und die Zeit, ja die Sterne selbst kennen, die ihn hervorgebracht haben. Nichts kann ihn aufhalten. Die Widerstände, die sich ihm in den Weg stellen, machen ihn noch größer. In ihm ist alles: Größe und Schwäche, Liebe und Grausamkeit, das, was begrenzt, und das, was keine Grenzen kennt. Sogar die Sterne altern und verlöschen, wir aber bleiben bestehen. Findet sich die Menschheit nach einer Epoche raschen Fortschritts und einer über unsere Vorstellungskraft hinaus entwickelten Zivilisation vor der Wand neuer Schwierigkeiten, vor dem drohenden Unbekannten, das die Grundlagen des Daseins erschüttert, dann wird sie in die Vergangenheit zurückgreifen und uns von neuem entdecken, ebenso wie wir die große Zeit der Vergangenheit entdeckt haben.
Das Vaterhaus
    Ich kam im Polargebiet Grönlands zur Welt, dort, wo das tropische Klima in das gemäßigte übergeht und statt der Palmenhaine hochstämmige Laubwälder das Landschaftsbild beherrschen. Unser Haus war ein altes Gebäude mit übertrieben vielen Glaswänden, wie man sie in dieser Gegend noch häufig findet. Der Garten drang durch die fast das ganze Jahr hindurch geöffneten Wände bis in die Zimmer des Erdgeschosses. Die intime Nachbarschaft mit den Blumen, die sich daraus ergab, war mitunter lästig. Mein Vater versuchte sogar, gegen dieses, wie er es nannte, übermäßige Blühen der Wohnung anzukämpfen; aber die Großmutter, die meine Mutter und die
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