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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman
Autoren: Anne Perry
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erwarten konnte. Auch wenn mir in diesem speziellen Fall jedes Detail zuwider ist, geht es auch hier um die Gerechtigkeit, die in den Augen meines Mandanten das höchste Gut darstellt.«
    Rathbone entdeckte in dieser Bemerkung eine bittere Ironie. Nur wenige drückten ihren Wunsch, erfolgreich verteidigt zu werden, mit derart allgemeinen Formulierungen aus.
    »Ich habe meine Bitte noch nicht vollständig erklärt«, fuhr Ballinger fort. »Mein Mandant wird deine Gebühren für die Verteidigung einer ganz anderen Person begleichen. Er hat keine Beziehung zu dem Beschuldigten und verbindet mit dem Ergebnis keine persönlichen Absichten, außer dass es juristisch einwandfrei zustande kommt, unbelastet von irgendwelchen Vorurteilen. Er befürchtet, dass der Angeklagte in diesem Fall jedem Durchschnittsgeschworenen so widerwärtig erscheinen muss, dass er ohne die bestmögliche Verteidigung für schuldig befunden und gehängt wird, aber nicht auf der Grundlage von Fakten, sondern auf der von Emotionen.«
    »Sehr altruistisch«, bemerkte Rathbone, auch wenn er bereits eine Erregung verspürte, als hätte er einen Blick auf etwas Erhabenes geworfen, eine Schlacht, ausgefochten mit all der Leidenschaft und Hingabe, die er nur aufbringen konnte. Aber es war nur ein sehr kurzer Blick, das Aufblitzen eines Lichts, das sofort wieder erlosch. »Wer ist es?«, fragte er.
    Ballinger lächelte oder verzog vielmehr matt die Mundwinkel. »Das darf ich nicht enthüllen. Er wünscht anonym zu bleiben. Er hat mir auch seine tieferen Gründe nicht verraten, aber ich muss diesen Wunsch respektieren.« Seine Miene und dazu die schief hochgezogenen Schultern legten den Schluss nahe, dass dieses Detail den Ausschlag gegeben hatte, sich nicht auf einen Prozess einzulassen, bei dem er sein Scheitern befürchten musste.
    Rathbone starrte den anderen Mann verblüfft an. Wie konnte es sein, dass ein Mensch, der ein so hehres Ziel verfolgte, sich selbst seinem Anwalt nicht zu erkennen geben wollte? Dass er die Öffentlichkeit scheute, ließ sich ohne weiteres begreifen. Dort konnte schnell der Eindruck entstehen, er hätte ein gewisses Verständnis für den Beschuldigten, und dass er das vermeiden wollte, lag auf der Hand. »Wenn ich an Diskretion gebunden bin, werde ich mich daran halten«, antwortete Rathbone sanft. »Das hast du ihm doch sicher gesagt?«
    »Natürlich«, erwiderte Ballinger eilig. »Aber auf diesem Punkt beharrt er. Ich konnte ihn nicht dazu bringen, diesbezüglich nachzugeben. Was dich betrifft, werde ich den Beschuldigten dir gegenüber vertreten und in seinem Namen handeln. Du brauchst nur zu wissen, dass dein Honorar durch einen Mann von höchstem Ansehen und absoluter Integrität in voller Höhe beglichen wird und dass seine eigenen Einkünfte über jeden Verdacht erhaben sind. Darauf bin ich bereit einen Eid zu leisten.« Regungslos verharrte er auf seinem Stuhl und starrte Rathbone eindringlich in die Augen. Bei einem weniger würdevollen Mann wäre einem dieser Blick vielleicht flehentlich erschienen.
    Rathbone behagte es nicht, dass ihn sein eigener Schwiegervater um berufliche Unterstützung bat, die er bisher immer gern gegeben hatte, selbst Fremden und Leuten, die er nicht mochte, denn das war schließlich sein Gewerbe. Er war Advokat und dazu berufen, im Namen derer zu sprechen, die selbst nicht die Voraussetzungen dafür hatten und Unrecht erleiden würden, wenn niemand für sie Partei ergriffe. Das Rechtssystem beruhte auf dem Prinzip Kläger gegen Beklagten. Beide Seiten mussten einander hinsichtlich Fähigkeiten und Einsatz für ihre Sache ebenbürtig sein, wenn die ganze Angelegenheit nicht zur Farce ausarten sollte.
    »Selbstverständlich werde ich für deinen Mandanten tätig«, versprach Rathbone ernst. »Gib mir die nötigen Dokumente und einen Vorschuss, und dann wird alles, was wir sagen, unter dem Schutz der Vertraulichkeit stehen.«
    Endlich löste sich Ballingers Anspannung. »Dein Wort genügt mir, Oliver. Bis morgen Vormittag werde ich alles, was du benötigst, in deine Kanzlei bringen lassen. Ich bin dir zutiefst dankbar. Ich wünschte, ich könnte Margaret sagen, was für einen großartigen Mann sie hat, aber dessen ist sie sich sicher längst bewusst. Ich bin überglücklich, dass sie so klug war, sich von ihrer Mutter nicht in eine Vernunftheirat drängen zu lassen, auch wenn ich zugeben muss, dass ich damals außer mir war.« Ein betrübtes Lächeln flackerte über sein Gesicht. »Wenn man eine
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