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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Thema wenig gemacht.
    Ein bisschen Fleisch kam immerhin aufs Gerippe, aber nur, um gleich wieder herunterzufaulen. Der Llullaillaco-Erreger begann nach Inkubationszeiten von wenigen Tagen damit, Fettzellen anzugreifen und aufzulösen. Die Menschen magerten bis auf Herz und Nieren ab. Die inneren Organe gerieten ins Rutschen aus Mangel an Fettgewebe. Wo auch immer sich eine Fettzelle verbarg, der Erreger fand sie, holte das Letzte aus jeder Muskelfaser, dem Darm, den Blutgefäßen, dem Herzen. Die Haut wurde dünn wie Seidenpapier, die Adern rissen, es kam zu inneren Blutungen.
    Mir sackte das Herz in die Eingeweide. Ich hatte mir gestern eine der Kapseln aus Gertruds infiziertem Döschen eingebaut. Endlich verstand ich Sallys vage Angst.
    »Anette ist an einer Llullaillaco-Infektion gestorben«, stell te ich mit blasser Stimme fest. »Da die Ärzte nicht wussten, wo nach sie suchen mussten, haben sie den Erreger nicht identifiziert.«
    »Doch, sie haben den Erreger als Acetinobacter identifiziert, ein Bakterium, das häufig für Infektionen in Intensivstationen verantwortlich ist und auf Antibiotika kaum noch reagiert. Anette Kaufmann ist an einer Infektion gestorben. Das stand immer fest.«
    »Aber tatsächlich war es der Llullaillaco-Erreger?«
    »Das wird man vermutlich schnell nachprüfen können. Bei nicht ganz geklärten Todesfällen behält man meist Gewebeproben zurück.«
    Ich wünschte, dies wäre sofort geschehen, und der Test wäre negativ ausgefallen. Ich schöpfte wieder etwas Hoffnung, als Becker uns die Berichte über den Impfstoff vorlegte. Ein japanisches Forscherteam hatte in den Anden Leichen der letzten Infektionswelle von vor zehn Jahren ausgegraben, Gewebeproben gezogen, den Erreger dingfest gemacht und ihn als genetisch mutierte Variante eines Bodenbakteriums identifiziert, das hauptsächlich Meerschweinchen befiel, die zuhauf die kargen Gegenden der Anden bevölkerten.
    Die Forscher hatten den Bazillus gezüchtet, ihn genetisch analysiert, Gene in andere Bakterienstämme eingepflanzt und überhaupt alles durchgespielt, was die moderne Gentechnik zuließ. Zufällig fraß dann ein im Labor ansässiger südamerikanischer Nackthund ein infiziertes Meerschweinchen und erkrankte nicht. Die Antikörper waren gefunden.
    Man impfte die Bewohner um den Vulkan Llullaillaco herum, und bis jetzt war die Krankheit nicht wieder aufgetreten.
    Leiter des Forscherteams war ein gewisser Dr. Ogu gewesen. Das Foto, das den Artikel begleitete, zeigte denselben Kopf, der die handelsüblichen Schachteln Adipoclear zierte.
    Von irgendwas musste Herr Ogu offenbar leben, denn ein Impfstoff gegen einen Erreger, der bislang nur alle zehn Jahre in den Anden aufgetreten war, machte niemanden reich, dann schon eher ein Schlankheitsmittel mit Ephedrin und Lecithin.
    »Hat ein Professor das nötig?«, fragte sich Richard laut und schaute Karin Becker an. Sie blickte aus einer Mappe hoch und fischte die Haarsträhne aus ihrer Stirn. Eine Neonröhre knisterte.
    »Jeder Mensch verdient gern viel Geld, wenn er kann«, behauptete ich, obgleich ich das in eigener Sache vehement bestritten hätte. »Und Dr. Ogu entwickelte nebenher das ultimative Schlankheitsmittel. Kein Hungern, kein Fettabsaugen mehr. Man wirft einfach ein paar Kapseln ein, und die Bakterien fressen das Fett weg. Ein bisschen Noradrenalin sorgt für Hochstimmung während der künstlichen Infektion. Das ist die Erlösung für die Frau der westlichen Welt, ein Milliardengeschäft.«
    Ich sah das Phantom Anette vor Bergen mit Spaghetti und öliger Soße. Hatte ich nicht selber gestern Abend tierisch Hunger gehabt? Der Körper versuchte, die Fettreserven wieder zu füllen, und scheiterte zunehmend mangels Fettzellen. Ein fürchterlicher innerorganischer Kampf begann. Anette kam mit dem Essen nicht mehr hinterher, gab auf und starb innerhalb weniger Tage.
    Andererseits sah Gertrud immer noch ganz prall aus. Ihr Glutaeus lagerte noch ausreichend Fett ein, um sich gut zu runden.
    »Das Mittel«, sagte ich, »ist offenbar nicht gänzlich beherrschbar. Bei manchen Menschen sind die Bakterien nicht mehr zu stoppen. Bei anderen ja. Vielleicht hängt es vom Immunsystem ab.«
    Ich hoffte inständig, mein Immunsystem sei gesund. Vielleicht sollte ich dringend weniger rauchen. Aber hatte sich nicht Sally bitter darüber beklagt, dass sie nur bei der ersten Packung Adipoclear abgenommen hatte und bei der zweiten schon nicht mehr? Offenbar war die Wirkung der Bakterien doch

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